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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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nur, wenn eine Eisenstange zu Boden fällt und Wasser aufspritzt.
    Die erste Polizeistreife des Tages fährt ein paar Meter von ihnen entfernt vorbei und steuert auf die Insel im Fluss zu, ein Biotop, das zum Leben erwacht, wenn die Sonne aufgeht: Die Blüten des Wermuts und der Schafgarbe
richten sich nach ihrem Licht aus und bewegen sich im Wind, die Insekten erwachen aus ihrer Starre und dann die Enten und die Tauchhühner und die Angler, die zu allen Tages- und Nachtzeiten zwischen ihnen sitzen und sich nicht regen, ab und zu nur rollt ihr Blick hinüber zu den Ruinen und den Fassaden der alten Speicher, die sich gegen den Wind gelehnt haben und von denen niemand weiß, worauf sie noch warten.
    Östlich des Flusses: das kurze Aufheulen des Jaguar-Sportwagens, der sich mehrmals in der Woche durch die Gassen schiebt, vorbei an der ehemaligen Tabakfabrik, meterhohen Bechermalven und der Tierarztpraxis, vorbei am Jugendstilkino und den Garagen, wo Jugendliche kauern, die Inhalte ihrer Rucksäcke besehen und aus den Augenwinkeln das Fahrzeug verfolgen, wie es wieder entschwindet, knapp verfehlt von der Streife.
    Die Polizisten starren gelangweilt auf die Jugendlichen, dann fahren sie weiter, es ist noch früh am Morgen, und über ihnen auf den Balkonen wird bereits Wäsche aufgehängt, die an ihrer Schnur leicht hin- und herpendelt im Wind, es riecht nach Waschpulver und dem Putz, der Stück für Stück von den Fassaden bröckelt; im Vorgarten einer Fabrikantenvilla sitzt ein kleiner Junge auf einer Rutsche und reibt sich verschlafen die Augen.
    Auf der Schnellstraße hat sich ein Stau gebildet, ein Auto steht quer, so dass die Straßenbahn nicht fahren kann, laut rasselt sie und klingelt. Der Lärm dringt bis hinauf zur Anhöhe hinter den Schlaufen der Schnellstraße, der Westwind fegt nachlässig die Straßen hoch, die zum Wäldchen auf der Kuppe führen, Amseln singen
dort gegen die Geräusche der Stadt an, ein Waschbär taumelt schlaftrunken über das Terrain der ehemaligen Polizeikaserne. Ein paar Marder rascheln im Laub vom Vorjahr, unter einer umgestürzten Buche liegt ein Zementsockel, auf dem, wenn er sich erwärmt, mit Vorliebe die alten Kater des Hügels liegen; unweit von ihnen fahren ein paar Züge in den Bahnhof ein, gelbblau und an jedem Wagen ein unfertiges Graffito. Die Züge bleiben stehen, die Passagiere strömen heraus, atmen den kühlen Schatten unter den Überdachungen und durchqueren den Tunnel, vorbei an Blumenverkäuferinnen, Ständen mit Zeitschriften, bunter Unterwäsche, Schuhen in allen Formen und Größen und dem Bettler, der schon seit dem Morgengrauen an seiner Stelle rechts neben der Treppe steht und seinen Bart sorgfältig mit etwas Schuhpolitur zum Glänzen gebracht hat. Ein paar Münzen klingeln in dem Becherchen, das er den Menschen hinhält, jedes Mal verbeugt er sich und sagt, Dank sei Gott in der Höh’, und über ihm in der Höh’ thront das Hauptportal des Bahnhofs mit seinen fein ziselierten Streben, auf denen Spatzen hocken; gierig starren sie hinab, der Wind kitzelt einen von ihnen am Brustflaum und trägt ihn hinüber zu den Preußischen Kasernen, lässt ihn über die Figuren im Innenhof des kleinen Zeughauses gleiten; Kunststudenten stehen dort herum, Werkzeuge in ihren Händen, und sehen zu dem versiegten Brunnen, der in der Mitte des kleinen Platzes steht: Über Nacht hat jemand eine Sesselgruppe aufgestellt und einen Tisch und eine Wohnzimmerlampe.
    Bald schon beginnt das übliche Hämmern und Pochen, vom letzten bisschen Wind weitergetrieben, längs der Bastionen, längs der Steinschleuse, an ein paar Garagen
vorbei, über der Straße ist es nur noch ein laues Lüftchen, das da geht, mühsam schleppt es sich voran, bis es schließlich vor einem blinden Holzfenster in sich zusammenfällt.

1.
    Ich stemme mich gegen das Fenster. Splitter der Lackierung bleiben an meinem Handballen haften, aber weiter als einen Spaltbreit lässt es sich nicht öffnen. So oder so liegt das Zimmer im dritten Stock, und wenn ich herausspringe, riskiere ich mindestens ein gebrochenes Bein, und damit komme ich nicht weit. Wenn ich das täte, wäre alles bewiesen, man würde mich für schuldig befinden, noch bevor ich ein Wort gesagt hätte. Also lasse ich vom Schloss ab und hole tief Luft. Da draußen ist die Stadt, hier drinnen bin ich, nur: Wo ist Bartosz?
    Vor fünf Tagen war seine Mutter Bronka in meiner Wohnung erschienen, mit dem Zweitschlüssel, von dem ich nicht wusste, dass sie ihn
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