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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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überhaupt besaß, hatte mich in die Küche gedrängt, an den Haaren gezogen und geschrien, dass ich endlich die Wahrheit sagen solle, sagen, was mit Bartosz geschehen sei. Ich hatte den Küchentisch gepackt und zwischen uns geschoben, sie hatte eines der Fleischmesser von der Anrichte genommen, es in die Tischplatte gerammt und gesagt, ich würde nun mit ihr mitkommen, ansonsten würde sie augenblicklich die Polizei rufen, auch die Polizei könne mit mir dieses Gespräch führen, aber das hier sei doch eine Familienangelegenheit, nicht wahr, Kinga, das klären wir unter uns, bei uns zu Hause. Bevor du irgendjemand anderem etwas sagst, sagst du es vorher mir, und zwar alles, von Anfang an.
    Ein Mensch kann sich nicht einfach in Luft auflösen, hatte Bronka geschrien, und zwei Menschen auf einmal noch viel weniger. Ich hatte sie gewähren lassen. Ich kann ihr unmöglich schon jetzt von meinem kleinen Problem erzählen, dann, da bin ich mir sicher, würde sie mich ausliefern oder einweisen lassen, und alles nur, weil
mein kleines Problem
nicht in ihren Kopf hineinpassen würde. Also vorerst kein Wort davon.
    Bronka hatte die Tür hinter mir geschlossen und verbarrikadiert, ich nehme an, sie hatte die Riegel an der Tür angebracht, bevor sie zu mir kam und mich abholte, vorher waren doch keine Riegel an der Tür gewesen, wofür denn auch: In Bartosz’ altem Kinderzimmer befinden sich bloß ein paar halbleere Regale, in die Bronka Kunstblumen und Tiere aus Porzellan gestellt hat, auch ein paar Häkeldeckchen finden sich dort und verstaubte Fotos von der Familie, und, natürlich, auf dem Schreibtisch Bartosz’ alter Rechner, den er vorsorglich für seine Besuche bei den Eltern hierhergebracht hatte. Während drüben, im Wohnzimmer, Tee getrunken wurde, konnte hier, am Bildschirm, der Feind zurückgedrängt, in die Enge getrieben und endlich erschossen werden, denn hier herrschte Krieg, und wo Krieg herrscht, ist keine Zeit für Tee.
    Unter der Tür sehe ich zwei Schatten hin und her wandern, Bronka steht vor der Tür, ich höre ihr mühsam unterdrücktes Schluchzen. Sie wartet auf den richtigen Zeitpunkt, um wieder hereinzukommen, vielleicht traut sie sich nicht oder glaubt, noch nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Dabei kann ich sie verstehen. Es handelt sich um ihren einzigen Sohn, seit über fünf Tagen ist er nun verschwunden, und seine Freundin Renia obendrein.
    Bartosz’ altes Kinderzimmer misst kaum zehn Quadratmeter,das schmale Bett, das in Wirklichkeit ein ausklappbares Sofa ist, passt hinein, dann die Regale, in die der Schreibtisch eingelassen ist, das war’s, mehr nicht. Keine drei Schritte kann ich gehen, ohne an seine Grenzen zu stoßen, das ist kein Zimmer, das ist eine Zelle, in der er aufwachsen musste. Wer wäre da nicht in die Armee eingetreten und hätte sich weit, weit weg schicken lassen, wo die Sonne heiß brennt und der Raum unendlich ist, mit dem bisschen Krieg, musste er gedacht haben, würde er schon fertig werden, der Krieg, so hatte man ihm gesagt, das sei vor allem eine Menge Sand, der sich gerne in die Uniform und hinein in die Unterwäsche stiehlt, in die Fältchen der Genitalien legt und so lange scheuert, bis man wund ist wie ein Baby und sich anstrengen muss, sich nicht andauernd in den Schritt und ins Gesäß zu fassen.
    Mein Sohn ist Soldat gewesen, hatte Bronka gesagt, als sie mich ins Zimmer hineingestoßen hatte, er ist zweimal aus der Wüste zurückgekehrt, und jetzt soll er hier, in unserer Stadt, verschwunden sein?
    Bronka zittert am ganzen Leib, ihr Gesicht ist aufgequollen. Sie sagt, mein Schweigen würde mich nur noch verdächtiger machen, wer unschuldig ist, müsste doch reden wie ein Wasserfall, nichts zu verbergen habe der und könne sich seiner Sache sicher sein – aber ich? Seit fünf Tagen habe ich mich nicht mehr aus meiner Wohnung herausbewegt und würde den Mund nicht aufbekommen, außer, um zu sagen, was sowieso offensichtlich war, aber das würde niemanden interessieren. Übrigens sei es ebenfalls meine Schuld, dass der Hausarzt Brunon direkt ins Krankenhaus überwiesen habe, nein, nicht wegen seiner Lungen, sondern wegen eines schweren Tobsuchtsanfalls.
    Mit dem Handrücken fährt sie sich über die Nase. Ich antworte, dass ich nichts zu verbergen habe, anderenfalls wäre ich doch wohl kaum in der Stadt geblieben, ich wäre nach Brasilien geflohen oder wenigstens in Richtung Deutschland, aber was sollte ich da schon, wenn doch hier mein Zuhause war
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