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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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lange in seiner Tasse Tee herum, bis ich mir alle erforderlichen Entscheidungen abgerungen hatte: Stein, Gravur, Foto ja oder nein, und am Ende sagte er tatsächlich, er habe meinen alten Herrn oft bei sich an der Auslage vorbeispazieren sehen, vor ein paar Jahren, daran könne er sich gut erinnern. Da wollte ich etwas sagen von wegen Aasgeier oder warum er ihn nicht direkt unter Vertrag genommen habe, dann wäre mir ja jetzt einiges erspart geblieben, aber ich presste die Lippen ganz eng aufeinander und verbat mir, pampig zu werden, so hatte Emmerich es immer genannt: pampig, und plötzlich fiel mir ein, dass ich nun so etwas wie die Letzte meiner Art war. Nicht, dass das schlimm wäre, nein. Auf dem Weg zur Ausgangstür blieb er nochmals stehen und fragte, ob ich sonst noch Hilfe gebrauchen könne, aber ich winkte ab. So oder so könne ich froh sein, sagte er zum Abschied und fuhr mit seinen Fingernägeln den verzogenen Türrahmen nach. In vielen Fällen habe man es mit Sonderwünschen zu tun, seitens der Verstorbenen, und das sei doch ein viel größerer Aufwand: etwa jemanden im Ausland zu beerdigen, in der Heimaterde, ich wisse schon.
    Nein, sagte ich, wir sind hier zu Hause, aber die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Beata Przybylla stand draußen im Garten ihres Vaters und winkte. Seit Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen, noch immer hatte sie die Sommersprossen, die ich als Kind so geliebt und heimlich in meinem Tagebuch kartographiert hatte. Ich hob kurz die Hand, dann schloss ich die Tür und ließ mich auf das Sofa fallen. Von der Decke seilte sich eineSpinne ab. Als sie den Esstisch erreicht hatte und auf dessen Platte umherkrabbelte, spürte ich, dass ich diesen Ort verlassen musste, um nicht durchzudrehen.
    Die Beerdigung war kaum mehr als eine unangenehme Unterbrechung meiner Klausur. Es regnete, daran erinnere ich mich, meine trockengeföhnten Haare waren innerhalb von wenigen Minuten wieder nass, von der Ebene her wehte ein scharfer Wind, und außer mir und dem erkälteten Pfarrer war niemand da, ich hatte keinen meiner Bekannten benachrichtigt.
    Als ich eine Handvoll Erde auf seinen Sarg fallen ließ, hielt ich meine Augen geschlossen, lächerlich das dumpfe Geräusch, und als ich meine Augen wieder öffnete, trieb der Wind die Tränen in senkrechten Bahnen hin zu meinen Ohren. Ich wollte Emmerich nicht hier draußen lassen, er hätte es gehasst, hier, mit all den fremden Menschen um sich herum, tot oder lebendig. Wieder einmal hatte ich alles falsch gemacht, Vater war tot, das Studium längst beendet und nichts Neues in Sicht, zu viele Dinge waren zu Ende gegangen und zu wenige hatten ihren Anfang genommen.
    An der Pforte hatten Przybylla und Beata auf mich gewartet, zum Grab selber hatten sie nicht kommen wollen, sie seien doch nur die Nachbarn gewesen und überhaupt … Ich hatte schnell genickt und mir die Tränen aus dem Gesicht gewischt. Przybylla hatte weiter geredet, ich habe vergessen, was, ich hatte an meine Kommilitonen denken müssen, die früher als ich mit dem Studium fertig geworden und in andere Städte gezogen waren. Bei mir, hatte ich gedacht, wies alles abwärts, meine Erwartung an die nächsten Jahre war so grau und erdrückend wie der Himmel über der norddeutschen Tiefebene.
    Als mich der Notar anrief und sagte, wir müssten über die Wohnung reden, die Emmerich mir vermacht habe, lachte ich laut auf und erschrak über die Stille, die sich danach im Erdgeschoss ausbreitete. Emmerichs Zimmer hatte ich verschlossen und vermied es, hineinzugehen. Seit der Beerdigung kannten die Mäuse kein Halten mehr und hatten sein altes Refugium zu ihrem Kerngebiet erklärt, jedes Auslegen von Gift oder Fallen war zum Scheitern verurteilt: Es waren einfach zu viele kleine Leiber, die sich nachts wie tags auf und unter dem Bett tummelten und sich durch Emmerichs alte Federwäsche fraßen.
    Das muss ein Missverständnis sein, sagte ich zu der sonoren Stimme im Telefon, wir wohnen zur Miete, und das Einzige, was mein Vater mir vermacht hat, ist eine Rumpelkammer voll mit Insektiziden und morschen Gartengeräten.
    Hat er Ihnen nie von dem Eigentum erzählt? Der Notar, ein Herr Kiesemöller, von dem ich nie zuvor gehört hatte, klang verwundert. Unter diesen Umständen sollten wir uns vielleicht doch besser bei ihm im Büro treffen. Er habe das Testament hier auf seinem Tisch, und da stehe alles ganz deutlich: Tochter Kinga – das sei doch ich? –, Art der Wohnung, Name der Stadt. Ich
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