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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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telefonieren, nein, das traute ich mich nicht. Wahrscheinlich aber hätte ich mich auch nicht auf Deutsch getraut, den Anruf zu erledigen. Ich recherchierte – es handelte sich wirklich um eine Nummer aus dem richtigen Land und der richtigen Stadt. Es war Zeit, dass sich etwas tat, wollte ich nicht wie Emmerich Wurzeln in diesem Haus schlagen und auf dem fruchtbaren Boden der Bördelandschaft verkümmern. Ich schleppte mich also aus dem Haus, kaufte Streuselkuchen, eine Packung Kaffee und lud den Przybylla ein.
    Was wollen Sie denn jetzt machen, fragte er, nachdem ich ihm die Geschichte erzählte hatte. Die Zuckerschicht des Kuchens knisterte zwischen meinen Zähnen.
    Was würden Sie denn machen, wenn Sie plötzlich herausfänden, dass in einer anderen Stadt ein anderes Leben auf Sie wartet? Ich muss es mir wenigstens anschauen. Es ist ja nicht für immer.
    Verlegen nahm ich einen Schluck Kaffee.
    Herr Przybylla nickte und schaute nachdenklich auf das Telefon und den Zettel, den ich ihm hinschob. Bitte, sagte ich, und dass ich nicht wisse, wer rangehen würde, Kiesemöller hatte etwas von einem Cousin meines Vatersgesagt, mehr wusste er selber nicht. Przybylla wählte, es klingelte. Seine Hand fuhr nervös über die Zeitungsartikel, die nach wie vor auf dem Tisch lagen. Es klingelte noch immer.
     

    Am Morgen jenes verhangenen Septembertages verließ eine Brise irgendwo bei Luleå in Nordschweden den Bottnischen Meerbusen. Auf den vierhundert Kilometern über die Ostsee, die sie zurücklegen musste, gewann sie binnen weniger Tage genug Antrieb, um erst die Åland-Inseln, dann Gotland und endlich, wenn auch nur am Rand, die Insel Öland zu passieren, einigen Krüppelkiefern endgültig den Todesstoß zu versetzen und ein, zwei Fischerdörfer zu verwüsten. Bevor die Cumulus-Wolken, die den Sturm ankündigten, allerdings die polnische Küste erreichten, schienen sie innezuhalten. Noch blieb der Stadt am Meer etwas Aufschub gewährt.
    Irgendwo am Rande des Viertels, das unmittelbar an das Zentrum anschloss, klingelte ein Telefon. Als das Geräusch ertönte, zuckte Renia Fiszer zusammen, stellte die Musik, die aus dem kleinen Küchenradio drang, leiser und strich sich eine Strähne ihres langen, ebenholzfarbenen Haars hinters Ohr. Auf ihrem Gesicht lag noch immer der Schleier des Schlafes. Das Klingeln war noch nicht verklungen, und so erhob sich Renia schließlich, zurrte den Bademantel um ihre schmale Taille und öffnete ratlos die Tür zu der kleinen Kammer. Ihre Schönheit war von der Art, die auf alles um sie herum einen lichten Schimmer warf, und sie versagte nicht einmal vor dem desolaten Zustand der Wohnung. Das Telefon klingelte noch immer.
    Verflucht seiest du, in der Hölle ersonnener Apparat, sagte Renia. Sofort nahmen ihre Augen die Farbe eines Seerosenteiches bei Regenwetter an. Es war unabwendbar: Sie war dabei, schlechte Laune zu bekommen.
    Der Flur lag da im Halbdunkel, die Jalousien waren nicht hochgezogen worden, nur ein paar Fenster waren geöffnet, durch die das
tru-tru-truu
der Schwäne und das Geschrei von Kindern drang. In der Küche stapelte sich das Geschirr, ein paar Fliegen summten an der Decke und ließen sich alle Weile auf das abgewetzte Parkett fallen.
    Die winzige Klinke der Kammertür lag kühl in Renias Hand. In den letzten Jahren hatten sie und ihre wechselnden Mitbewohner alle Gegenstände, die sie nicht mehr brauchten, hineingestellt, aber mittlerweile war die Kammer so voll, dass man ohnehin nichts mehr hineinbekam, und so hatte man sie vergessen und nur ab und zu, wenn etwas in der Wohnung rumpelte oder knarzte, sagte man sich: Es muss sich wohl etwas in der Kammer getan haben.
    Nun aber dieses Klingeln, ein durchdringendes, schepperndes Geräusch, das klang, als hätte es ein derangiertes Museumsobjekt von sich gegeben. Unmöglich, es zu ignorieren, immer weiter klingelte es, und gerade als Renia dachte, dass es aufgehört hatte, nahm es neuen Anlauf und klingelte, um eine Spur verstimmter, weiter.
    Einen weiteren Fluch ausstoßend, stellte sie ihre Tasse auf der Kommode ab und begann, die auf den Boden gestürzten Gegenstände abzutragen und sie im Flur zu verteilen, eine Schicht nach der anderen: Ausrangierte Skibekleidung kam zum Vorschein, ein alter Hamsterkäfig samt Einstreu und mumifiziertem Nager, ein brasilianisches Karnevalskostüm, ein unbehauener Fünf-Kilo-Speckstein-Block,elf verschiedene Schuhe ohne Pendant, in unterschiedlichen Größen, Formen und Farben; ein
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