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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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Emaille-Topfset, eine alte Schreibmaschine aus Gusseisen, eine Fellmütze, ein antikes Hochzeitskleid, Kreidemalstifte, ein Moskitonetz und ein wackelnder Melkschemel, auf dem ein schwarzglänzendes, knapp dreißig Zentimeter hohes Telefon stand, das Renia nie zuvor gesehen hatte.
    Jetzt nimm schon endlich ab!, schrie jemand aus der Nachbarwohnung und hämmerte gegen die Wand. Renia zuckte nochmals zusammen, dann nahm sie ab. Ein paar Minuten war Stille. Dann hörten die Nachbarn, wie sie sagte, das Ganze müsse ein Missverständnis sein, ihr würde die Wohnung doch gar nicht gehören, sie miete sie bloß, oder so etwas in der Art,
Was das heißt, geht Sie überhaupt nichts an, wer sind Sie überhaupt, woher haben Sie diese Nummer,
nein, unmöglich, also das ist ja, da müsste sie sich erst einmal beim Vermieter erkundigen, oder, besser gesagt, seinem Sohn.
Wie? Bartosz Mysza, wieso wissen Sie das nicht?
Also. Wie auch immer. Ja. Auf Wiederhören.
    Renia legte den Hörer zurück auf die Gabel und setzte sich neben das Karnevalskostüm auf den Boden. Das kann ja was werden, flüsterte sie und angelte nach ihrer Tasse. Der Kaffee war kalt geworden. Sie nahm den letzten Schluck und machte sich auf den Weg zu Bartosz Mysza.
    Renia Fiszer fand ihn im Garten eines einfachen Arbeiterhauses auf der anderen Seite des Flusses. Dort, zwischen Fliederbüschen und einer Mülltonne aus Blech, stand Bartosz, knapp zwei Meter groß, den breiten Rücken in eine beige Tarnfarbenjacke gehüllt und machte sich daran, einen fast hüfthohen Wolfshundmischlingzu kämmen. Das Blut war ihm zum kahlrasierten Kopf gestiegen und ließ seine vor Jahren doppelt gebrochene Nase hell hervortreten. Als er die zierliche Gestalt vor dem Haus sah, fuhr er sich über die Stirn. Schweiß perlte ihm in die Augen. Seit er aus der Wüste zurück im nasskalten Polen war, schwitzte er bei der geringsten Anstrengung, merkwürdig war das. Dabei hatte er damals nur wenig unter der Hitze gelitten, und das, obwohl manchmal über vierzig Grad herrschten und weit und breit kein Schatten war. Bartosz Mysza, hatte der Offizier immer gebrüllt, wenn du so weitermachst, wirst du am Hitzschlag krepieren. Schwitze! Aber er schwitzte nicht, und er krepierte auch nicht am Hitzschlag.
    Das Geräusch der Bartstoppeln, über die seine Hand fuhr, ließ den Hundekopf hochschnellen. Die Gestalt stand noch immer vor dem Zaun, auch wenn der Hund nicht bellte. Aber sie war da. Real. Bartosz atmete auf, sein Puls hatte sich beschleunigt, aber wenigstens ging es ihm nicht wie Socha oder Lysiecki, die immerfort Stimmen hörten und dachten, neben ihnen stünde jemand. Nein, ihm ging es vergleichsweise gut, er war doch gesund, es war alles in Ordnung.
    He, Soldatenjunge, rief Renia. Du hast ein Problem.
     
    Bartosz dachte nach, einen ganzen Tag lang, und konzentrierte sich auf den Gedankengang fast so sehr wie auf die Runde Counterstrike am PC, mit der er sich abends vor dem Zubettgehen beruhigte. Immerhin hatte er noch siebzig Lebenspunkte und ausreichend Granaten. Am Ende des Tages wusste er noch immer nicht, was das Richtige sein würde, und so beschloss er, seinen Eltern alles zu verschweigen. Das war das Mindeste, was er ihnen schuldete.
    Als er aus dem Fenster blickte, hatten sich hohe Wolkenberge über die Stadt geschoben, weiter entfernt am Strand ging der Wind bereits so stark, dass Hafer und Sanddorn flach auf den Boden gepresst wurden. Die Möwen flohen unter die Dächer und beobachteten misstrauisch die Gischt und die Wellen, die gegen die Mole brandeten und gefährlich nah an die Dünen heranschwappten. Der Wind fuhr in die Stadt hinein und ließ die Fensterscheibe erbeben. Bartosz drückte kurz mit seinem Finger dagegen, Stille, dann ließ er sie wieder los. Seine Hände zitterten nach der durchspielten Nacht und dem durchspielten Tag so stark, dass er das Handy nicht einschalten konnte und es auf sein Bett schmiss. Es prallte von der Matratze ab und flog gegen die Wand. Cudny, der Hund, der die ganze Zeit geduldig und gekämmt unter seinem Stuhl gelegen hatte, schaute auf und deutete ein Schwanzwedeln an. Dann apportierte er das Handy. Bartosz überprüfte nicht, ob es noch funktionierte. Er holte sich stattdessen eine Cola aus dem Kühlschrank, warf einen Blick aus dem Küchenfenster, nahm einen Schluck und spülte damit seinen Mund. Es kribbelte in seiner Hand. Verdammt, dachte er, es kribbelt in meiner rechten Hand. Eines Tages werde ich ein Beil nehmen, und dann wirst
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