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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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Helm hervorgucken und mit dem Gelb des Wüstensands verschmelzen, und als Nächstes kommt der Streifschuss, der Sanitäter und schließlich wieder der Geier, und dazwischen ist nichts als gähnende Leere und die Erinnerung an unsere Ankunft vor fünf Monaten. Ich saß neben Jarzèbiński im Hubschrauber und sah hinunter zur Erde, und die Erde war Sand, und ich sah, dass er gut war, gelb und pudrig und unerschöpflich, und ich war nicht fünfundzwanzig Jahre alt, saß nicht in der verdammten Blechbüchse, die uns rüber nach Babylon brachte, und unter uns war nicht eine einzige gelbe Fläche zu sehen. Nein, ich war drei Jahre alt, und Papa hatte draußen im Garten den Sandkasten aufgebaut und mit frischem Sand gefüllt und ich spielte bis in den Abend hinein, so lange, bis der ganze Sand hinausgeflogen war.
    Der Blick nach unten war verpönt, nur Jarzèbiński starrte hinaus, als wäre das Fenster eine Kinoleinwand, die anderen blickten stur geradeaus, hielten ihre Augen geschlossen oder machten es wie ich, warfen ab und zu einen Blick auf die weite, gelbe Fläche, von der sich niemand vorstellen konnte, dass es dort irgendetwas anderes gab als eben das: Sand. Aber ich kannte mich aus mit Sand und wusste, wie es um ihn bestellt war, eine trügerische, glatte Fläche konnte er sein, und mit einem Male sank man darin ein, weil er sich zu einer Falle ausgehöhlt und Insekten ihre Behausungen in ihn hineingegraben hatten, so konnte man sich täuschen, und so täuschten die Dünen Mesopotamiens, denn kaum hundert
Kilometer vor Bagdad tauchten plötzlich Palmen auf, ein paar lumpige Häuschen, eine große Straße und jede Menge Dreck. Der Dreck, so wurde uns später mitgeteilt, ist in Wirklichkeit eine Ansammlung von Ruinen, aber das wussten wir damals nicht, das wusste keiner von uns außer Jarzèbiński, der seine Nase gegen die Scheibe klebte, als gehe es auf einen Ausflug, einen Trip im Urlaub, aber das da unten, das war kein Feriencamp. Das war Babylon, und das am Horizont war Babilla, die Stadt Hammurapis und Nebukadnezars.
     
    Als ich wieder zu mir kam, wusste ich, dass ich ein Problem hatte, aber damals dachte ich noch, es hätte mit mir zu tun, mit der langen Zugfahrt vielleicht, oder Gott weiß womit. Das war das erste Mal, dass es passierte, das erste Mal, dass ich, Kinga, für die Dauer eines Augenlidflatterns jemand anderen so nah spürte. Bartosz war schon längst das Gleis hinuntergegangen und hatte mich und Renia zurückgelassen. Immerhin hatte er meine Tasche mitgenommen.
    Geht es dir gut?, fragte Renia. Ich schüttelte den Kopf.
    Das wird schon werden. Renia klopfte mir auf die Schulter und zog mich mit sich. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und spürte den Regen auf meiner Haut. Ich redete mir ein, übermüdet zu sein, mich nur gründlich ausschlafen zu müssen, dann würde ich mich wieder beruhigen.
    Vor dem Bahnhof, auf einem Parkplatz, stritt sich Bartosz Mysza mit einem Penner, der sich auf die Motorhaube seines Mazdas gesetzt hatte und nicht runterkommen wollte. Renia sagte, das sei der Parkwächter, und so sei das halt, wenn man sich immer überall durchschnorren wolle und keine Parkgebühren zahlen,typisch Bartosz, nicht ganz angekommen in der Realität. Apropos schnorren. Sie blickte mich von der Seite an und sagte, dass sie in der Wohnung wohne, die ja anscheinend jetzt mir gehöre. Ihr sei das ja im Prinzip egal, wem sie gehöre, aber ich könne mich schon einmal darauf vorbereiten, dass das Stress geben würde, bei den Myszas. Wenn sie es denn einmal erführen, dass ich da war. Immerhin würde ich Polnisch sprechen, das sei zumindest eine kleine Erleichterung.
    Stress ist das Letzte, was ich gebrauchen kann, sagte ich, als wir uns endlich ins Auto setzten, Renia und Bartosz vorne, ich und der Hund hinten. Bartosz ließ den Motor an und sagte, dass das ja noch schlimmer sei, völlig wahnsinnig würden ihn diese Leute machen, die nur einen auf breitärschige Friedlichkeit machen könnten – Renia drehte sich kurz zu mir um und zuckte mit den Schultern –, aber das sei doch schon komisch, oder, da käme ich plötzlich in die Stadt, zu den Leuten, die meine Familie im Stich gelassen hatte, würde alles für mich beanspruchen wollen und dann noch die Dreistigkeit besitzen, zu sagen, ich wolle keinen Stress.
    Bartosz gab Gas und schoss aus dem Parkplatz hinaus auf die Schnellstraße, Autos hupten, und ich dachte, der Mann ist verrückt, einfach verrückt. Mein Anschnallgurt
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