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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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sollen, dann wäre alles beim Alten geblieben.
     
    Als ich die Werft passierte, winkten mir die Kräne zum Abschied, mit ihren blassgrünen Streben schwenkten sie in meine Richtung und dann sanft hin und her, eigentlich hatte ich sie gemocht, sie verliehen dieser Stadt etwas Maritimes, etwas Weltgewandtes, aber in diesem Moment, auf dem Weg zurück nach Hause, kamen sie mir vor wie überdimensionale Galgen, die sich über dieDächer reckten und jeden Besucher vor der Macht dieser Stadt warnten, vor der Macht, Menschen zu verschlingen, wie und wann immer sie es wollte, sie auszulöschen wie ein überflüssiges Wort.
    Aber es war gut, zu gehen, zu laufen fast, fort von dem Boot und dem, was ich gesagt hatte. Ich bereute es schon beinahe, aber ich war eben aus der Haut gefahren, so was konnte geschehen. Mit jedem Schritt wurde ich etwas ruhiger. In der Innenstadt angekommen, stellte sich eine Erleichterung ein, als wäre ich die ganze Zeit auf der Flucht gewesen, und nur die Anwesenheit von Menschen um mich herum hat mich retten können: große Menschen, die zwischen ihren Häusern umhergingen und sich Wassereis mit Himbeergeschmack kauften, und kleine Menschen, die auf Zwei- und Dreirädern umherfuhren und riefen und krakeelten und sich mit Sonnencreme einschmierten und ohne Arg waren. Das war der größte Trost, dass es Menschen gab, die sich nicht zerstritten hatten, sich nicht unmöglich aufgeführt und vielleicht etwas kaputtgemacht hatten, das sich nicht wieder kitten lassen würde.
    In der Nähe der Post musste es gewesen sein, da waren ein Spielplatz und ein Gelächter und ein Gewusel, da blieb ich dann sitzen, für eine Weile, im Schatten einer Weide, und stand nur auf, um mich in die Reihe am Eiswagen zu stellen. Die jungen Mütter lächelten mir zu, ein Kleinkind zu haben, das verband wohl, aber ich wandte den Kopf ab, wollte nicht beantworten, welches der mit Speiseeis beschmierten Kinder meines war. Allein ihre Annahme, ich könnte ein Leben führen mit Kind und Mann und Windeltasche und Schwiegermutter, die daheim Kartoffeln kochte und Rindsrouladen, das beruhigte mich ein wenig, so hätte es ja auch seinkönnen, und so war es vielleicht auch, in einer anderen Dimension.
    Ich erinnere mich an den Geruch des klebrigen Eises, den Geruch der lackierten Holzbank, Schwalben flogen dicht über den Köpfen der Kinder umher, eines heulte auf, weil die Spitze seines rosafarbenen Eises weggebrochen war, da schienen alle Mütter auf den umliegenden Bänken aus ihrem Schlummer aufzuwachen, nur um wenige Sekunden später wieder einzunicken. Ich saß mitten unter ihnen und aß ein Eis nach dem anderen, zwei-, dreimal reihte ich mich in die Schlange ein, so lange, bis ich kein Kleingeld mehr in der Tasche hatte. Schlecht war mir schon vorher geworden, aber das war mir egal, denn die Kälte des Eises lähmte auf angenehme Weise mein Gehirn und ließ alle Gedanken an die möglichen Konsequenzen dieses missratenen Ausflugs gefrieren.
    Die Sonne funkelte zwischen den Zweigen der Weide hindurch, sie stand bereits schräg am Himmel, neigte sich dem Horizont entgegen, und als ein Strahl mein Gesicht berührte und ich merkte, dass der Stern an Kraft verloren hatte, stand ich auf und machte mich auf den Weg. Ich hatte einen Entschluss gefasst: Renia und Bartosz wollte ich finden und mich bei ihnen für die Szene entschuldigen, die ich gemacht hatte. Das war mein Plan, deswegen suchte ich sie, ich brannte weder vor Liebe noch vor Hass.
    Ganz windstill war es in der Stadt, als hätte sie ihren Atem angehalten. Die Menschen auf den Straßen verhielten sich ruhig, erschöpft nach einem warmen Tag, kein einziges Tier war zu sehen, und das Gemüse auf den Ständen war so welk und runzlig wie die Gesichter der Marktfrauen. Vor den Bäckereien und Eiscafés saßendie Leute um die Tischchen, blickten wie betäubt auf ihre längst geleerten Becher und hoben ihre Köpfe, als sie mich vorbeigehen sahen. Nein, es gab keinen Zweifel, ich befand mich auf dem Weg nach Hause, oder wenigstens in die Richtung dorthin, denn eigentlich stieß mich die Vorstellung ab, alleine in der Wohnung zu sein, untätig auf Renia zu warten … Ich machte auf dem Absatz kehrt und schlug einen Umweg ein, zurück über den Fluss auf die andere Seite. Hinter der Insel angekommen, entdeckte ich dann das Segelschiff. Am Ende der Brücke blieb ich stehen. Es war tatsächlich die Albatros. Kurz erwog ich, zum Boot hinüberzugehen, dann entschied ich mich dagegen. Alles
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