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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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in mir sträubte sich dagegen, nochmals einen Fuß auf die Planken des Bootes zu setzen und mich unter die Augen der Gäste zu begeben.
    Die Vorstellung, Bartosz zur Rede zu stellen, kam mir dennoch verlockend vor. Ärger stieg wieder in mir hoch. Meine Füße taten mir weh, außerdem pochte es hinter meiner Stirn, als kündigte sich ein Sonnenstich an. Die Heimfahrt im Boot wäre ohne Zweifel angenehmer gewesen als die Route über Land.
    Der dunkelblaue Rumpf der Albatros dümpelte gleichmütig im Yachthafen, inmitten eines Teppichs aus Algen und Entengrütze. Ein paar Möwen hatten sich im Tauwerk niedergelassen und kreischten ohrenbetäubend: Eine Dohle hatte sich ihnen genähert und kreiste immer wieder um das Schiff, als handle es sich um ein Fischerboot kurz nach dem Fang. Ein paar Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, der Fluss und der Hafen waren in ein diffuses Licht getaucht.
    Erst sah es so aus, als sei das Boot bereits verlassen, leer, aber dann – ich wäre beinahe schon weitergegangen – sah ich Bronka und Brunon, wie sie aus der Kajütean Deck kamen, und schließlich konnte ich ebenfalls Albina ausmachen, die mit einem Wischmop im Heck zugange war.
    Einen Moment lang blieb ich stehen und wartete ab, was passieren würde. Als ich aber nach fünf Minuten weder Renia noch Bartosz sehen konnte, war ich mir sicher, dass sie bereits von Bord gegangen waren. Jetzt wusste ich: Ich musste mit ihnen reden. Vielleicht konnte ich sie noch einholen, sie waren doch zu Fuß gekommen – Bartosz’ Auto hatte ich am Vormittag jedenfalls nicht auf dem Parkplatz des Hafens bemerkt.
    Rasch lief ich die Promenade am Fluss hinunter, rempelte ein paar Angler und Zeugen Jehovas an, eine junge Zigeunerin mit Kind auf dem Arm stellte sich mir in den Weg, so dass ich im Laufschritt beinahe aus dem Gleichgewicht geriet, und als ich den Knick erreichte, den die Promenade beschrieb, kurz vor der Schleuse, da sah ich sie. Renia und Bartosz standen am Geländer, hielten sich an den Händen und starrten ins aufgewühlte Wasser des Flusses.
    Sie redeten nicht, so viel konnte ich erkennen, auch wenn ich noch ziemlich weit entfernt von ihnen stand. Sie blickten einfach ins Wasser, als müssten sie sich fassen, als hätten sie eine Entscheidung von großer Tragweite getroffen, der sie nachfühlen, die sie abwägen mussten. Im ersten Moment war ich so erleichtert gewesen, sie zu sehen. Jetzt, dachte ich, würde sich alles klären lassen, ich würde mit ihnen reden können, welch eine Gnade, ihnen so schnell begegnet zu sein. Ich ging auf sie zu, mitten auf der Promenade, ich wollte mich ja nicht verstecken, im Gegenteil – da drehte sich Renia plötzlich in meine Richtung und schaute mir, noch gut hundert Meter entfernt, blank ins Gesicht. Ich hobmeine Hand und winkte, vielleicht hatten sie mich nicht erkannt, die Häuserwand am Fluss warf lange Schatten auf die Promenade, das konnte verwirren, vor allem, wenn man reichlich Sommerbowle und Krimsekt getrunken hatte. Ich winkte, aber Renia schaute durch mich hindurch, erkannte mich noch immer nicht, und dann dieser Blick – erst später fiel mir ein, woher ich ihn kannte, Renia, die sich nach innen wandte, nicht mehr berührt wurde von den Dingen dieser Welt, Renia, von der niemand sagen konnte, wo sie sich in solchen Momenten befand.
    Ich blieb stehen und rief ihren Namen, aber da packte sie Bartosz am Unterarm und ging los, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, rasch überquerten sie den öden Platz vor den Garagen und den verwilderten Park, der vor der Brücke lag. Eine Amsel saß auf dem Wipfel einer jungen Buche und sang, ich habe es noch genau im Ohr, sie sang, aber Renia und Bartosz beachteten sie nicht, als würden sie nichts, rein gar nichts mehr wahrnehmen, nicht das Rauschen der Schleuse oder das Knarzen der alten Brücke, nicht die alte Dame mit dem Rudel Pekinesen, das sie kläffend umkreiste, bis sie fortgezogen wurden, nicht die letzten Strahlen der Sonne, bevor sie hinter den Bastionen verschwand, nicht mich, wie ich ihnen mit immer länger werdendem Schatten folgte.
    Eine unbestimmte Angst war plötzlich über mich gekommen. Die beiden befanden sich nicht auf dem Weg nach Hause, sie waren auch nicht auf der Suche nach einer Bank, um den Sonnenuntergang zu genießen und sich dabei verliebt in die Augen zu schauen. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, aber jetzt weiß ich ja, dass mich das Gefühl nicht täuschte, ich hätte mich nur etwasmehr beeilen sollen,
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