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Gedankenmörder (German Edition)

Gedankenmörder (German Edition)

Titel: Gedankenmörder (German Edition)
Autoren: Rose Gerdts
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1
    Peter Smidt heftete in seinem Büro gerade die Rechnungen für die letzte Futterlieferung ab, als er den Schrei hörte.
    Es war kurz nach sieben.
    Der Leiter der Bremer Jugendfarm ließ sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. In wenigen Stunden würde es auf der Farm vor jungen Besuchern nur so wimmeln. Umso mehr genoss Smidt die morgendliche Stille in seinem Büro, und umso mehr ärgerte ihn jede unnötige Unterbrechung.
    Seufzend quälte sich der Mann aus seinem abgewetzten Bürostuhl und ging zur Tür. Doch außer dem leichten Strichregen, der im Schein der Stalllampe auf den matschigen Boden fiel, konnte er auf dem dunklen Hof nichts erkennen.
    Er formte seine beiden Hände zu einem Trichter: «Daniel!» Einen Moment lauschte Smidt dem Klang seiner eigenen dunklen Stimme, die sich über den Hof legte. Doch der Zivildienstleistende, den er vor wenigen Tagen eingestellt hatte, gab keine Antwort.
    «Daniel! Was ist denn los bei dir da draußen?», rief Smidt in die Dunkelheit.
    Aber der junge Mann schien ihn nicht zu hören.
    Smidt zuckte matt mit den Schultern. Gerade als er die Tür wieder schließen wollte, meinte er, ein Stöhnen zu hören. Das Geräusch kam nicht aus dem Pferdestall, sondern aus Richtung des künstlich angelegten Sees.
    «Verdammt, warum antwortet der Kerl nicht?»
    Ärgerlich riss Smidt seine Jacke von einem Nagel an der Wand und legte sie sich noch im Hinausgehen über die Schultern. Wieder hörte er das Geräusch. Diesmal klang es für Smidt, als wimmere jemand. Mit großen Schritten durchquerte der Farmleiter den Stall und bog auf den gepflasterten Weg in Richtung See ein. Einige Gänse schnatterten aufgeregt und zischten Smidt an. An jedem anderen Morgen hätte er ihnen scherzhaft geantwortet und ihr Zischen zu imitieren versucht. Doch an diesem Morgen hatte Smidt für die Vögel keine Augen.
    ‹Der Zivi muss sich verletzt haben›, schoss es ihm durch den Kopf.
     
    Endlich sah er die schmale Gestalt, nach der er gesucht hatte. Die Arme eng um den Oberkörper geschlungen kauerte der junge Mann mit dem Rücken an einem hölzernen Geräteschuppen.
    «Was ist denn los, Junge?» Peter Smidt schaute seinen Mitarbeiter prüfend an.
    Der Zivi schien auf den ersten Blick unverletzt. Im Schein seiner Taschenlampe erkannte der Farmleiter überrascht, dass Daniel sich erbrochen hatte.
    Peter Smidt nahm sich vor, Daniel nach Hause zu schicken. Er musste sich umziehen. So konnte er unmöglich die kleinen Besucher auf der Farm herumführen.
    «Da, sehen Sie! Es ist furchtbar. Ich habe …», die letzten Worte gingen in einem Würgeanfall unter.
    Der Farmleiter leuchtete mit seiner Taschenlampe in die angegebene Richtung. Fassungslos suchte er nach Worten. «Verdammt!»
    Vor den Ställen der Hasen und Kaninchen lagen drei Hühner mit abgerissenen Köpfen. Jemand hatte die Kadaver so ausgelegt, dass die Tiere wie ein Pfeil in Richtung der alten Eibe deuteten. Als Smidt sich die kopflosen Hühner genauer ansah, bemerkte er, dass ihre Flügel unnatürlich vom Körper abgespreizt waren. Sie waren gebrochen.
    «Sehen Sie, was das Schwein mit Blacky gemacht hat!»
    Daniel hatte sich aufgerafft und deutete mit einer Hand auf den großen Hofbaum.
    Stumm ging Peter Smidt auf die Eibe zu. Der Hase mit dem samtigen, schwarzen Fell schien mit seinem Rücken und den ausgestreckten Pfoten regelrecht an der Baumrinde zur kleben. Als der Farmleiter noch einen Schritt näher trat, sah er, dass der Hase an den Stamm der Eibe genagelt worden war. Damit nicht genug, hatte der Täter den Bauch des Tieres mit einem tiefen Längsschnitt geöffnet. Angewidert drehte sich Smidt zur Seite.
    Wütend trat er gegen einen Blecheimer.
    «Verdammte Scheiße. Wer war das? Wer macht so was?»
    Das Scheppern ließ Daniel zusammenzucken.
    Smidt atmete tief durch. «In zwei Stunden kommen die ersten Kinder. Bis dahin muss das hier weg.»
    Er hasste sich selber dafür, dass seine Worte so gefühllos klangen. Aber die grausige Szenerie hatte ihn mehr mitgenommen, als er gegenüber dem Zivi zugeben wollte.
     
    Daniel rührte sich nicht.
    «Wir müssen die Polizei benachrichtigen», hörte Smidt ihn sagen.
    «Die Polizei?» Smidt schnaubte verächtlich.
    «Glaubst du, die Bullen hat es interessiert, als vor zwei Jahren nachts jemand unseren Ziegenbock mit einem Messerstich in den Hals getötet hat?»
    Unwillkürlich war Smidt in den Jargon seiner Jugendzeit zurückgefallen. «Da haben wir nur Rennerei und sonst nichts. Es ist
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