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Ambra

Ambra

Titel: Ambra
Autoren: Sabrina Janesch
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sie hätten auch noch so viel zu essen da und zu trinken … und überhaupt habe der Wind soeben abgeflaut, unter diesen Umständen segle niemand irgendwohin.
    Nichts da. Dann schmeißen wir eben den Motor an. Bartosz wischte sich den Schweiß von seiner Stirn. Ein kurzes Vibrieren ging durch das Schiff, als es gegen das steinige Ufer stieß und Michaƚ festmachte.
    Schaff dich raus. Bartosz hatte seine Stimme gesenkt und sagte etwas zu Kinga, die, ebenso leise flüsternd, darauf antwortete und immer heftiger auf Bartosz einredete. Niemand verstand, was sie sagten. Trotzdem waren die Gespräche unter den Gästen verstummt, alle starrten hinüber zu der jungen Frau, die sich endlich darangemacht hatte, mit hochrotem Kopf über die Reling zu klettern. Bartosz hätte ahnen müssen, dass er sich damit Kingas Zorn zum Fraß vorwarf, und Renia gleich mit dazu. Er wusste doch von Kingas krankhafter Eifersucht, wusste, wie heftig Kinga auf seine Vorwürfe wegen des Casinos reagiert hatte. Ihr Stolz muss unheilbar verletzt worden sein. Die Auseinandersetzung hatte fast ausgereicht, die Familie erneut zu entzweien.
    Kinga ging von Bord und rutschte auf den Steinen aus, die am Ufer umherlagen. Sie blieb so lange sitzen, bis das Boot sich langsam von der Mündung des Flusses entfernte. Dann erst erhob sie sich und ging zurück in Richtung Stadt, den Kopf – Womöglich? Ganz sicher? – voller düsterer Pläne.
    Irgendwann wird sie auf Bartosz und Renia gestoßen sein, und ihr Weg wird sie daraufhin nicht zurück in die Wohnung oder in ein Café oder auf eine Parkbank geführt haben, nein – Kinga wird mit ihnen einen geheimeren, einen dunkleren Ort aufgesucht haben. WerKinga kennt, weiß um ihre Leidenschaft für die Bastionen unweit der Wohnung.
    Die unterirdischen Gänge jener Wälle konnte nur entdecken, wer sich mit Taschenlampe und einem unerschrockenen Herzen in sie hineinwagte. Hielt Kinga etwa nicht in ihrem Zimmer Pläne der Gänge und Kammern versteckt, war sie nicht diejenige, die sich am besten dort auskannte? In der gesamten Stadt gab es keinen besseren Ort für ein geheimes Verlies, in dem man zwei Menschen verschwinden lassen konnte, sei es tot oder lebendig. Mit Kingas Plänen aber verhält es sich wie mit Bartosz und Renia: Sie sind verschwunden, das wichtigste Beweismittel fehlt, und so bleiben nur die Hoffnung und der Faden der Ariadne. Die Wahrheit kennt nur ein Mensch allein, und das ist Kinga, Kinga Mischa.
     

    Es war ein langer Weg zurück. Meine Wut war nach den ersten Kilometern verraucht. Am Abend, so nahm ich mir vor, würde ich Bronka anrufen, sie beruhigen, und damit würden alle Wogen geglättet sein, jedenfalls vorerst.
    Die Straße führte vorbei an maroden Wohnblocks und hinfälligen Werftanlagen, und immer wenn Autos an mir vorbeifuhren, hupten sie lautstark, als hätten sie nie zuvor einen Fußgänger gesehen, als wenn mich das in ihren Augen schon suspekt gemacht hätte: Jemand, der vom Meer zu Fuß in die Stadt ging, da konnte doch etwas nicht stimmen, ein Wunder, dass niemand direkt die Polizei rief und mich mitnehmen ließ, wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit oder Schlimmerem.
    Aber dann hätte niemand gesehen, was mit Bartosz und Renia geschehen war, und alle würden davon ausgehen,dass sie sich irgendwo ertränkt hätten, mit einem Gewicht an ihren Füßen vielleicht und warum auch immer, etwa weil ich sie gekränkt hatte, ha, oder aus unüberwindbarem Schmerz an der Welt. Oder man würde vermuten, dass ein Containerschiff sie mit nach Brasilien genommen hatte oder dass sie sich in irgendeiner Ruine versteckt hielten oder aber dass sie vom Turm der großen Backsteinkirche den direkten Weg in Richtung Himmel angetreten und leibliche Aufnahme gefunden hätten, das würde doch hinreichend erklären, warum sich kein Fetzen ihrer Kleidung, kein Knöchelchen und keine Hautschuppe von ihnen finden ließ, als hätten sie niemals existiert.
    Und warum das alles? Weil alle damit beschäftigt waren, ihren Rausch irgendwo auszusitzen, die waren doch alle im Boot geblieben, als es schon längst wieder vor Anker lag im Hafen im Fluss, aber da hatte natürlich niemand bemerken wollen, dass Bartosz und Renia zusammen losgezogen waren mit ihren Mienen aus Stein und ohne ein Wort zu sagen. Als hätte man da nicht wenigstens fragen können, ob alles in Ordnung sei oder ob man sie begleiten solle, so gesehen habe doch ich den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, ich hätte einfach ein Bord bleiben
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