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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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Stimme. Sie werden staunen, wie gut das schmeckt. Die Augen des Hundes. Von der Werkstatt aus biege ich in die Landstraße, die am Strand von La Marina entlangführt, ich fahre an den Apartmentblocks und an dem Grün vorbei, das sich hinter den Gartenmauern ausbreitet, Palmen, Bougainvilleen, Jasmin, Thujen – der ganze Katalog der Gärtnereien unserer Gegend –, bis zu der Kreuzung mit der Staatsstraße 332. Beide Straßen treffen in einer Landschaft aufeinander, die nach schäbigem Vorort aussieht: verlassene Gemüsegärten, Unkraut und Schutt, auf dem nach den Regenfällen im Herbst Gras gewachsen ist, der charakteristische Dekor jener Zonen, die während des gerade vergangenen Immobilienbooms kurz davor waren, als Bauland ausgewiesen zu werden, undjetzt in so etwas wie einem juristischen Limbus verharren, scheinbar Niemandsland, auf dem inzwischen mehrere Hütten stehen, wahrscheinlich von Leuten aus Osteuropa errichtet, oder von Marokkanern, die als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft arbeiten und in der Gegend herummarodieren auf der Suche nach Alteisen, gebrauchten Haushaltsgeräten, alten Möbeln, Kupfer – was immer sie abschleppen oder klauen können: Sie lassen alles mitgehen, reißen Rohre heraus, Bewässerungsmotoren, Kabel; sie kapern Traktoren, tonnenweise Obst und lassen sogar ganze Obsthaine verschwinden. Kein Einzelfall: Ein Landwirt kommt zu seiner Plantage und entdeckt, dass seine Orangenbäume allesamt abgesägt wurden, um sie als Brennholz zu verkaufen. Ganz in der Nähe der Hüttensiedlung gehen zwei Schrotthändler ihrer Arbeit nach und häufen Altmetall auf; das Gelände ist übersät mit versehrten Autokarosserien, Kühlschränken, Waschmaschinen und alten Klimaanlagen. Und das alles ein paar hundert Meter entfernt von Neubausiedlungen, die auf den großen Schildern an der Landstraße als luxuriös gepriesen werden. Den Leuten scheint das egal zu sein; solange man ihnen nicht den Müll über die Gartenmauer wirft und der faulige Geruch nicht ihre Terrasse erreicht, kann die übrige Welt im Dreck versinken.
    Dort, wo die beiden Landstraßen sich vereinen, säumen etwa zwei Dutzend Nutten den Straßengraben und lassen sich von der Wintersonne belecken. Sie sitzen auf Plastikstühlen vor dem Röhricht oder spazieren auf dem Seitenstreifen hin und her: Sie lackieren sich die Nägel, schauen in das Spiegelchen der Puderdose, rauchen, spielen Patience auf wackeligen Plastiktischchen, zeigen in ihren Tangas Schenkel und Schinken und lassen die Titten aus den aufgeknöpften Jäckchen schauen, obwohl die Strahlen der Dezembersonne nicht gegen die Feuchtigkeit des Geländes ankommen – ein Schlammfeld zwischen Strand und Sumpf – und auch nicht die Kälte mildern, die mit dem heutigen Mistral die Krallen zeigt. Die Frauen, die sich nicht hingesetzt haben, spazieren nervös hin und her, gerade einmal ein paar Meter in jede Richtung, als befänden siesich nicht an der Landstraße, sondern in einer Zelle (die eine oder andere hat diese kreislauffördernde Übung wohl auch im Gefängnis gelernt). Sie gestikulieren, machen die Beine breit oder bücken sich, um die Hinterbacken in Richtung Fahrbahn auszustellen, aufgescheucht durch den Lärm eines LKW-Motors oder das Hupen, das ihnen ein Fahrer widmet. Sie ziehen sich das Kleid bis über die Brüste hoch, zeigen den nackten Körper den Lastwagenfahrern, den einsamen Insassen der Kleintransporter, auf deren Türen die Logos der Botendienste, der Schlossereien, Glasereien oder Hauslieferanten stehen; Schenkel und Brüste wie weißer oder gelblicher Marmor, daneben rosige Leiber oder Fleisch in der Farbe von Milchkaffee, schwarzem Kaffee oder, wie man früher sagte, von Ebenholz leuchten unter dem gebrochenen Licht des Morgens: ein Musterbuch aller Rassen (auch wenn nur selten eine Asiatin dabei ist – eine kleine Chinesin, Thailänderin oder Kambodschanerin –, aber es gibt sie schon, natürlich), am üppigsten vertreten allerdings die Frauen aus Osteuropa, Weibsbilder mit weißem, bläulich schimmernden Fleisch, das Licht auszustrahlen, statt zu schlucken scheint. Es gibt reichlich Frauen aus Afrika, und auch an Lateinamerikanerinnen mangelt es nicht, obwohl letztens weniger Brasilianerinnen zu sehen sind, dabei waren sie die Ersten, die sich an der Landstraße aufgestellt hatten. Sieht ja so aus, als ob es dem Schwellenland jetzt besser geht, die Mädels werden, so Gott will, ihr Geschäft in Rio oder São Paulo aufgemacht haben, ein eigener
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