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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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Manien, jedem das Seine. In derselben Sendung wurde gezeigt, wie sie in den Chinarestaurants die Enten aufbewahren, du lieber Himmel, der Kühlschrank stank wohl schlimmer als verfaulter Hund, da stehen einem ja die Haare zu Berge, Sie können sich gar nicht vorstellen, was der Reporter dort gesehen hat. Aber ich sprach ja vom Koriander, den ihr kaum kennt oder verwendet, ihr versteht ja auch nicht wirklich etwas von Früchten: Mangos, Papayas, Corossols, Guaven, Uchovías, Maracujas, Guanabanas, Drachenfrüchte; die Auyamas laufen bei euch unter Kürbis. Jetzt werden diese Früchte hier langsam bekannt, weil sie auch in die Supermärkte kommen; soviel ich weiß, habt ihr bisher nur ein knappes Dutzend Früchte gegessen, und die schmecken fad, haben kaum Aroma: Äpfel, Bananen und Birnen und wenig mehr; diese Ananas, die aus Costa Rica gebracht werden, schmecken nach nichts und werden nach drei, vier Tagen im Kühlschrank faulig. Nein, nein, lachen Sie nicht, ich hab nämlich recht. Ich bin mir auch ganz sicher: Sie haben in Ihrem Leben noch keine gute Ananas gegessen. Eine reife Ananas, eben erst gepflückt, genau auf dem Punkt, mit ihrem süß duftenden Aroma und ihrem Honigsaft. Jeden Abend ihre Stimme, während ich ihn vor dem Sofatisch zurechtsetze,auf den ich die Wachstuchdecke gelegt habe und später den Teller mit dem Gemüse und das Tellerchen mit dem Omelette stellen werde, wie sie es bis vor ein paar Tagen gemacht hat. In seiner Behinderung bestimmt der Alte immer noch mein Leben, erlegt mir Tätigkeiten auf, prägt meinen Zeitplan, mein Tageslauf ist auf ihn ausgerichtet: Mehr oder weniger erreicht er eben das, was er sein ganzes Leben lang erreicht hat. Früher gelang ihm das, indem er seine Autorität ausspielte; jetzt erreicht er es mit seinem Schweigen und seiner Ungeschicklichkeit. Er ist der Kranke, der sich nicht selber helfen kann, jetzt ist er nicht mehr autoritär, stattdessen fordert er Barmherzigkeit ein; ich, sein Dienstbote, weil er mir leidtut. Seitdem ich denken kann, hat er uns alle in den Dienst seiner schwankenden Stimmungen gestellt. Sein Leben dagegen hat immer nur ihm gehört. Er hat sich so verhalten, wie es – der Verfassung gemäß – dem König zukommt: ohne Verantwortung, oder so, wie es manche Künstler pflegen, heute protestiere ich, morgen spreche ich nicht, übermorgen buhle ich um Aufmerksamkeit, und am Tag darauf ertrage ich keinen fremden Blick. Wenn ich es mir jetzt überlege: Ja, er hatte die Mentalität eines Künstlers. Als er jung war, hatte er einer werden wollen. Er las gerne Romane, aber auch Bücher über Geschichte, über Kunst und Politik. Er holte sie sich aus der Stadtbibliothek. Freitagnachmittags wusch er sich, zog ein weißes Hemd und sein Jackett an und ging dann zum Büchertausch in die Bibliothek. Sonntagnachmittags, wenn in der gesamten Nachbarschaft der Lärm von der Fußballübertragung aus den Radios schallte, herrschte bei uns die Stille: Mein Vater las am Fenster, nützte das Nachmittagslicht. Später ließ er die Jalousie runter und schaltete die Stehlampe an, die neben dem damals einzigen Sessel des Hauses stand, und bliebt dort in sein Buch vertieft bis zum Abendessen sitzen, kehrte danach wieder zu seiner Lektüre zurück. Eine Künstlerseele. Als junger Mann wollte er Bildhauer werden – später sollte ich das werden –, aber die Kriegswirren machten seine Hoffnungen zunichte. Meine habe ich ganz alleine erledigt. Der von ihm für micherwählte Beruf hat mich nie interessiert. Ich habe es gerade mal ein paar Monate an der Kunsthochschule ausgehalten. Mein Großvater und er haben mehrere der Möbel im Haus geschreinert und in einem Stil gestaltet, der schon damals passé war, denn in der republikanischen Zeit und kurz davor, Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger, wählten die Leute vage an Art déco erinnernde Designs aus dem Katalog, während die beiden, die in der Politik doch so revolutionär waren, ihre Möbel im Stil der Renaissance fertigten, mit Schnitzereien, wie sie in Dokumentarfilmen über Salamanca an den Fassaden der dortigen Gebäude zu sehen sind: Grotesken, Medaillons, Akanthusblätter. Obsolete Möbel schon am Tag ihrer Entstehung, aber, das kann ihnen keiner absprechen, von großer Kunstfertigkeit. Sie verliehen dem Haus Würde und Gediegenheit zu einer Zeit, in der es kaum genug zu essen gab. Eher eine Sache der Berufsehre als der Verschwendung.
    Als der Alte richtig verpackt ist, gehe ich hinunter zum Schuppen im
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