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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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wie die Hühnerbrüstchen, die meine Frau sich für ihre Diät brät); aufgegangen in weißem Pulver, gestäubt aufdie Wasserspeicher der Toiletten (meine Sache waren eher die Wasserbetten, die Spiegel und Löffelchen und Röhrchen aus Geldscheinen oder aus Silber, nicht alles wird gleich sein und ist es auch nie gewesen): die wunderschönen zartvioletten Fünfhunderterscheine, ubi sunt? Wo sind sie hin? Alle Welt sucht sie, und niemand findet sie, wir Unternehmer suchen sie, die Finanzbeamten suchen sie, nichts hier, nichts dort. Durchsucht werden Anwaltskanzleien, Privathäuser, doppelte Böden in Autokarosserien, in den Bäuchen der Jachten, aber die Scheine tauchen nicht auf, sie sind nicht da, sind durch die Abwasserrohre der Bidets geflohen, in denen die Frauen die Spuren dessen wegwuschen, was so teuer zu nähren und zu vergießen war; in den Abflüssen der Waschbecken, in denen du dir diese verräterische Nase wuschst, die wieder zu bluten begonnen hatte, in den Urinoirs der Restaurants, in denen Tonnen von Hochrippensteaks aus Ávila, Galicien, kantabrisches oder baskisches Rind verputzt wurden, ganze Container von frisch geangelten Seehechten, von Spanferkeln aus Segovia und Milchlamm aus Valladolid, von Fischreis mit oder ohne roten Tiefseegarnelen und Hummer; Hektoliter von Wein von der Ribera und Whisky von wer weiß welchem Torfmoor oder wildem Tal in Schottland (auch da entferne ich mich vom allgemeinen Geschmack: Ich bevorzuge Weine und Cognac aus Frankreich). Alles ist durch die Abflüsse, durch die Spülbecken, die Toiletten, durch das Loch der noch kaum erblühten, aber vom vielen Reiben schon mit Hornhaut behafteten Mösen abgegangen. Das Leben selbst, unser Leben, glaub ja nicht, dass das woandershin fließt, die ganze Welt fließt mit dem Abwasser davon, doch wie sehr vermissen wir die Dinge, die niemals wiederkehren. Der Schnee von einst, die Rosen, die heute Morgen aufgeblüht sind und am Abend verblüht sein werden, und wenn erneut die Sonne darauf scheint, werfen sie die Blütenblätter ab, zurück bleiben hässliche trockene Kugeln, kleine Totenköpfe, die zwischen den Fingern knistern, wenn man draufdrückt, die Infanten von Olba, die Damen aus der Ukraine. Wo sind all diese Leute hin, die hastig vor unseren Augen vorbeizogen, wo gingen sie hin, wo sind sie angekommen. Wasser, das der Spülstein schluckt, ein Labyrinth von Abwasserrohren,Kloaken, Filtern und Klärbecken, Rohre, die ins ewige Meer führen.
    So ist die Zeit vergangen, die dir auf Erden gegeben ward, mein Freund vom Bau. So ist es auch mir ergangen. Jetzt müssen wir das Leben leben, das nach dem Leben kommt.
    Die neuen Zeiten sind nicht mehr so hektisch, die Leute rasen nicht mehr in Autos mit vielen Zylindern von hier nach da, in voll beladenen Lastwagen, in Kleintransportern, die sich mit einer wichtigen Lieferung verspätet haben, es herrscht eine andere Ruhe, mehr Gelassenheit, die Zeiten sind nicht ganz so physisch (es gibt nicht so viel fleischliches Gerammel, die Zimmer des Ladies stehen leer, keiner legt sich auf die rosafarbenen Laken, keiner steht in den Gängen beim Notariat Schlange, um einen Kaufvertrag zu unterzeichnen: der Schmetterlingseffekt) und natürlich auch nicht ganz so von der Chemie bestimmt, Kokain ist rar, und das wenige, das zirkuliert, ist von mieser Qualität und wird von kaum jemandem gekauft. Ausgerechnet für Koks Geld ausgeben! Offensichtlich leben wir weniger verhurt, haben das Gaunerhafte abgelegt, aber vielleicht noch einen Kater davon. Neue Werte liegen in der Luft, franziskanische Tugenden: Man schätzt wieder die Langsamkeit, den geruhsamen Abendspaziergang, der auch gut fürs Herz ist, selbst das Armselige sieht man mit anderen Augen: Ich wage sogar zu behaupten, dass es Mode ist, arm zu sein und mit gepfändetem Haus und Wagen dazustehen (da könnte ich dir was erzählen, mein Freund vom Bau. Ich nehme an, es geht dir mehr oder weniger so wie mir). Bei einer Zwangsräumung wirst du zum Protagonisten von Fernsehreportagen, wenn du von deiner Firma entlassen wirst, macht man dich zum Helden; es ist auch nicht mehr cool, in Misent den Motor aufheulen zu lassen, wenn du an einem Straßencafé auf der Avenida Orts vorbeifährst, damit die Gäste sich nach dir, der du am Steuer des Ferrari Testarossa sitzt, umdrehen, es kommt nicht gut an, wenn die vom Lokalfernsehen dich in einem Fünf-Sterne-Hotel beim Golfen erwischen oder beim Brunch, eine Mischung aus breakfast und lunch (die
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