Am Ufer (German Edition)

Nachricht verbreitet sich wie Feuer: Das Arschloch kann weder seine Wechsel bedienennoch all die Familienväter auszahlen, die er in die Arbeitslosigkeit geschickt hat, aber für den Golfklub hat er genug), und wenn du jemanden triffst, um über Arbeit zu reden, dann lass besser den Mercedes 600 in der Garage, es ist zweckmäßiger, den Volvo zu nehmen: Belohnt wird das Bild von Solidität und Unauffälligkeit, der arbeitsame Unternehmer steht höher im Kurs als der Spekulant; es sind, darauf kannst du Gift nehmen, sehr viel langweiligere Zeiten, trauriger auch, kaum vorstellbar. Aber, uff, was ist los, was willst du? Ich werde in meinen Gedanken unterbrochen, Amparo klopft mir auf die Schulter:
    » Tomás Pedrós, du bist eingenickt, du schnarchst und sabberst.«
    Ich öffne die Augen, merke, dass sie mir mit einem Kleenex über die Mundwinkel und das Kinn wischt, und bin gerührt. Wie sonst kann sich Liebe in diesen schweren Zeiten zeigen als in solchen Kleinigkeiten. Unter den neuen Bedingungen haben wir gelernt, die kleinen Gesten wertzuschätzen. Ich sehe die Fensterfront, hinter der eines dieser riesigen Flugzeuge für die Transkontinentalflüge abhebt. Auf Bodenhöhe schleicht eine andere Maschine Richtung Fluggastbrücke. Auf den Rumpf ist der Umriss des Vogels Garuda gemalt. Amparo wirft das Taschentuch in den Papierkorb neben sich und fragt: Was haben sie dort für eine Währung? Das fragt mich meine geliebte Amparo. Sie ist wirklich eine wunderbare Frau mit ihrem Sinn für die Kleinigkeiten. Real? Sol? Bolívar? Quetzal? Rupie? Ich lächle ihr zu, wie man einem Engel zulächeln könnte: Das ist egal, mein Liebling, Geld hat kein Vaterland, achte du nur drauf, dass du immer konvertible – sagt man so? – Euro oder Dollar in der Handtasche hast, versuche auch, Goldbarren zu horten, das vor allem, denn schau, seit Jahrhunderten ist das Gold beim Tanz dabei, so wie die Juwelen, Brillanten, Rubine, Saphire, Jahrtausende von hier nach dort, und immer noch bewahren sie den Wert, den sie am achten Schöpfungstag hatten, als Eva eine Schlange sah und die Hand nach ihr ausstreckte, weil sie glaubte, das sei ein Smaragdcollier.
    Beniarbeig, Juli 2012

 
     
     
     
     
     
    © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2014
© der Originalausgabe: Editorial Anagrama, Barcelona 2013
Titel der Originalausgabe:
En la orilla

Umschlaggestaltung: Michel Keller, München
eBook-Produktion: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH
ISBN 978-3-88897-887-6