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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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unter den Spaniern? Schießen sich hierzulande etwa nicht die Leute nieder, und gibt es nicht auch hier Kokainlabors? Und was den Terrorismus betrifft: Wie viele Menschen sind bei den Attentaten in Madrid gestorben, das muss man auch mal sehen, das Böse ist überall, und so wird es auch mit dem Guten sein, aber das findet man nicht so leicht, besonders wir Frauen tun uns da schwer, ihr Männer habt immerhin eure Freunde,unsere Freundinnen sind eher Rivalinnen. Aber klar gibt es auch hier schlechte Menschen, Liliana. Da ist ihre Stimme und dieser Streifen Fleisch, der zwischen Jeans und Bluse hervorlugt, ganz unpassend in Fastenzeiten: Es ist, als bewege sie sich gerade mal einen Meter vor mir, sie spiegelt sich in der Windschutzscheibe, die Farbe der Haut, die Tönung, so weich bei der Berührung, die Haut drängt sich zwischen meine Hand und das Lenkrad. Warm, zart, von trügerischer Süße. Aber ich muss die Bühne für die Aufführung vorbereiten, sage ich mir. Es ist weder der Tag noch der Ort für solche Gedanken. Manchmal, wenn ich bei einem Jagd- oder Angelausflug ins Sumpfgelände ein Mädchen als Begleitung bezahlt hatte, spürte ich in mir die Erregung, die sich aus der geteilten Intimität im Schweigen des Schilfs speiste; und die Begierde ging mit mir durch, wenn ich wahrnahm, wie die Furcht der Frau wuchs, je weiter wir auf kaum erkennbaren Wegen vorstießen (Wo bringst du mich hin, fragen sie dann mit einem gewissen Beben in der Stimme, während ich mich frage, warum dem Sex die Angst immer eine zusätzliche Würze zu verleihen scheint, du beginnst das Ritual als Suche nach dem Licht und endest im Labyrinth der Finsternis, du suchst den Marmor des Fleisches und verkommst im Schlamm der Ausscheidungen), er regend der Verkehr der Geschlechter im verwobenen Pflanzengemach: befriedigend, zweifellos, Lust und Angst vermischt, eine höchst taugliche Kombination. Aber nach dem Akt fühlte ich mich dort schmutziger und schuldbeladener, als wenn ich ihn irgendwo anders vollzogen hatte. Mit irgendwo anders meine ich das Zimmerchen mit den verhängten Fenstern und dem matten Licht, das manchmal rötlich, manchmal rosa oder auch von einem diffusen Blau ist; der Hintersitz im Auto, nächtlich, gespensterhaft, die Beine beben neben der offenen Autotür. Ficks, die diese dem Menschentier offenbar eingeborene postkoitale Traurigkeit verschärfen. Wenn ich es hier trieb, im Sumpf, ging es mir um ein Gefühl von Freiheit, dennoch kam es mir danach so vor, als hätte nicht nur ich mich beschmutzt, ein Gefühl, das sich gewöhnlich nachmeinen Geschlechtskontakten in diesen Zimmern mit dem spärlichen Licht einstellt (wieder daheim, mildere ich es mit einer kräftigen Dusche, mit Seife und hartem Schwamm, und zum Abschluss noch ein großzügiger Sprühregen von Duftwasser); es kam mir vielmehr so vor, als sei der Ort selbst beschmutzt worden – nur mit einer Frau war das nicht so –, was ziemlich paradox ist, hat der Sumpf für die nahen Ansiedlungen doch stets als verwahrloster Hinterhof fungiert, wo alles erlaubt war und jahrzehntelang Schmutz und Abfall lan deten. Erst mit dem Naturschutz und der Ökologie-Mode hat dieser Raum eine symbolische Bedeutung gewonnen, und die Zeitungen sowie das lokale Fernsehen sprechen von der großen grünen Lunge des Gebiets (der andere Blasebalg, die mächtige Lunge, die schnaubt und grollt und zornig wird und uns alle sauber wäscht, ist das Meer), sie bezeichnen den Sumpf als Zufluchtsort autochthoner Arten und als bevorzugten Nistplatz der Zugvögel. Bis vor zehn Jahren etwa hat Bernal, der Teerpappe herstellt, den Produktionsausschuss seiner Fabrik in die tieferen Wasserlöcher geschüttet. Alle Welt wusste es, aber keiner kam auf den Gedanken, ihn anzuzeigen. Ungestraft. Bernal ist eben ganz der Vater, er wirkt nur zivilisierter. Kein Witz. Sein Vater, Eigner mehrerer Fischerboote, ließ in den Vierzigern mindestens eine unbequeme Leiche verschwinden, er lud sie auf ein Fischerboot, band ihr einen Stein ans Bein und kippte sie über Bord in das riesige, barmherzige Grab des Kanals von Ibiza, dort wo das Wasser zwischen Festland und Insel am tiefsten ist: Ebenda fischt man die besten Garnelen und den roten Thunfisch, der angeblich vom Aussterben bedroht ist. Eine Leiche: organisches Material, jede Menge Nährstoffe. Das Meer säubert alles. Das Meer wäscht alles, spuckt es wieder aus oder verdaut es, reinigt es mit Salz und Jod – Nutzung und Wiederverwertung. Es gilt als
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