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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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Schwarzer, ein Chinese, ein Schotte, die sterben, oder einwunderschöner Tiger, dem ein Jäger nach dem Leben trachtet. Der Tiger mit seinem in unvergleich lichen Farben gemusterten Fell und seinen funkelnden Augen ist so viel schöner als ein alter Kerl mit Krampfadern wie ich. Welch Unterschied in der Haltung. Wie elegant der eine und wie schwerfällig der andere. Sieh dir an, wie beide gehen. Steck sie im Zoo in zwei benachbarte Käfige. Vor dem Käfig des Alten sammeln sich die Kinder, um darüber zu lachen, wie er sich flöht oder sich zum Kacken hinhockt; vor dem des Tigers reißen sie staunend die Augen auf. Es ist vorbei mit dem Blendwerk, dass der Mensch das Zentrum des Universums ist. Schon wahr, bei einem Menschentier können wir die Gesten, die Gesichter und die Stimmen unterscheiden, und das stimuliert unsere Sympathie, aber wir verstehen auch die Mimik einer Hauskatze, eines Hundes, mit denen wir zusammenleben, und befrachten sie mit Gefühl. Da sind dann noch die Stimmen, und man wundert sich, wie sehr die Stimmen einen binden: Helfen Sie mir doch bitte, die Laken zu falten. Nein, nicht so, drehen Sie es auf die andere Seite. Ich lache, weil ich Sie mit diesen ungeschickten Pratzen sehe, verzeihen Sie, ich meine, es sieht so aus, als könnten Sie den Stoff beim bloßen Zupacken zerreißen. Was ich mit Pratzen meinte, ist, dass Sie sehr kräftige Hände haben, keine hässlichen Hände, im Gegenteil, Sie haben sehr hübsche Hände, Männerhände, viril eben. Wir drehen den Stoff ein paar Mal um, bevor wir uns einig sind, in welche Richtung wir das Laken zusammenlegen wollen. Die Hände berühren sich in dem Augenblick, da ich ihr das schon gefaltete Wäschestück überreiche, und sie berühren sich erneut, als sie mir das Kopfkissen reicht, während sie den Bezug auseinanderfaltet. Ach ja, die Kartoffeln. Wissen Sie, wie viele Sorten Kartoffeln wir bei uns haben? Ihre Haut, ihre Poren verströmen diese Hitze, in der man die Nacht über dann weichgekocht wird.
    Da sind ein paar Frauen (zwei davon Mädchen, ich glaube kaum, dass sie schon achtzehn sind) dort an dem Weg, in den ich zumSumpf hin abbiege, ein Gebiet, wo das Schilf bis hin an die Straße wächst. Sie stehen da und quatschen, sie versperren die Durchfahrt, halten mich zweifellos für einen Freier. Ich stoppe kurz vor ihnen, um sie nicht niederzuwalzen. Sie bewegen die Zunge von einem Mundwinkel zum anderen, sie lachen, fahren sich mit der Hand zwischen die Schenkel, wobei mich die eine ein wohlbeschnittenes blondes Fellchen sehen lässt, während sie mit dem Ellbogen die andere anstößt und lacht, mit dem Finger auf mich zeigt, sie sagt vielleicht, schau mal, der Alte. Ein alter Spanner. Ein widerlicher alter Bock. Dieser unerfreuliche Gedanke geht zumindest mir durch den Kopf, ich drücke auf die Hupe und aufs Gaspedal. Der Geländewagen startet mit einem aggressiven Knurren, woraufhin sie eiligst davonstieben. Da stehen sie nun, fuchteln mit den Händen, werfen mir einiges auf Russisch oder Rumänisch an den Kopf, ich schätze – dazu muss man nicht allzu schlau sein –, ich soll mich verpissen. Trotz der düsteren Vermutung (dieser verfickte alte Bock, mächtig stolz auf seinen sechzigtausend Euro teuren Geländewagen: das haben mir ihre Blicke zurückgespiegelt) ist es den Mädels gelungen, mich zu erregen, und ich steuere den Rest der Strecke mit der linken Hand auf dem Hosenschlitz. Der Schwanz reckt sich, als er das Gewicht der Hand spürt, während ich die Nutten im Rückspiegel nach einer Biegung des Weges aus dem Blick verliere. Nur noch Grün. Die Straßendecke (um es mal so zu nennen) ist der reine Schlamm, durchbrochen von tiefen Schlaglöchern, in denen nach dem Regen das Wasser steht. Ich fahre sehr langsam. Bei der ersten Kreuzung biege ich links ab in einen Weg, der bis zum Fluss führt, oder wie immer man diesen flüssigen Arm nennen will, der zusammen mit fünf oder sechs weiteren im Norden das Kanalsystem ausmacht, durch das der Sumpf ins Meer abläuft. Ich halte kurz vorm Wasser auf dem Grasstreifen der Böschung. Das Vergnügen, das es mir bereitet, mich auf diese teuflischen Wege zu begeben, besteht zum großen Teil darin, dass ich weiß, hier werde ich weder auf die Guardia Civil noch auf ihre Umweltabteilung stoßen, auch nichtauf die grünen Patrouillen vom Staat oder der Autonomiebehörde, nicht einmal auf andere Fischer oder Jäger: Niemand begibt sich auf diese vom Unkraut überwachsenen Pfade (der Marjal ist zum
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