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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx
Autoren: Michael Peinkofer
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wir nicht soviel innerhalb von so kurzer Zeit erreicht hätten. Und er hat seine Erbin viel gelehrt …«
    »Wenn schon. Es gibt immer Mittel und Wege. Es existieren Waffen, gegen die auch Sarah Kincaid wehrlos ist.«
    »Darf ich aus Ihren Worten folgern, dass Sie bereits einen festen Plan verfolgen?«
    »In der Tat. Ich versichere Ihnen, dass ich nicht versagen werde, wie meine beiden Vorgänger es getan haben. Schon sehr bald wird Sarah Kincaid alles tun, was wir von ihr verlangen – und noch viel mehr. Und das Beste daran ist, dass sie es aus freien Stücken tun wird, genau wie der alte Gardiner. Als er merkte, in wessen Diensten er tatsächlich stand, war es bereits zu spät – Sarah wird es nicht anders ergehen.«
    »Tatsächlich? Wie wollen Sie das erreichen?«
    »Überlassen Sie das mir. Alles, was ich dazu brauche, ist freie Hand. Ich will in der Wahl meiner Mittel und Möglichkeiten ungebunden sein.«
    »Der Wunsch wird Ihnen gerne gewährt – doch seien Sie auf der Hut. Nach allem, was geschehen ist, haben wir Grund zu der Annahme, dass es Verräter in unseren Reihen gibt. Nicht alle unsere Knechte dienen mit derselben Bereitwilligkeit …«
    »Keine Sorge – diese Möglichkeit habe ich in Betracht gezogen.«
    »Gestatten Sie mir eine Frage?«
    »Natürlich.«
    »Weshalb glauben Sie, dass Ihnen gelingen wird, was keinem Ihrer Vorgänger gelang?«
    »Sehr einfach«, entgegnete die andere Person, und ein überlegenes Lächeln spielte dabei um ihre blassen Züge, »weil ich meinen Vorgängern einen entscheidenden Vorteil voraushabe: Ich bin eine Frau und weiß daher genau, wie Sarah Kincaid fühlt und denkt und folglich auch handelt. Sie werden sehen, Monsieur, dass Sie gut daran getan haben, Ihren erlauchten Kreis für mich zu öffnen …«
    K INCAID M ANOR , Y ORKSHIRE
16. S EPTEMBER 1884
    »Sarah?«
    »Ja, Vater?«
    »Bin überzeugt … kein Zufall, dass hier … war deine Bestimmung, ebenso wie die meine. Führe meine Mission fort … suche weiter … nach der Wahrheit …«
    »Das werde ich«, verspricht sie, was dem Sterbenden ein Gefühl tiefer Erleichterung zu verschaffen scheint. Seine schmerzverzerrten Züge entspannen sich, während er Luft holt, um seine letzten Worte auf Erden zu sprechen.
    »Noch etwas, Sarah …«
    »Was, Vater?«
    »Musst … mir verzeihen …«
    »Das habe ich bereits getan.«
    »Davon spreche ich nicht.« Er schüttelt den Kopf, Blut sickert über seine Lippen. »Kennst nicht … die ganze Wahrheit …«
    »Welche Wahrheit? Worüber?«
    »Über das … was gewesen ist … Du bist nicht …«
    Jäh reißt seine Rede ab.
    Gardiner Kincaids glasige Augen weiten sich, sein Mund öffnet sich zu einem lautlosen Schrei, und er richtet sich halb auf- um sogleich wieder zurückzusinken und reglos liegen zu bleiben.
    »Vater?«
    Sie erhält keine Antwort mehr.
    Stattdessen scheint sich ihre Umgebung aufzulösen. Der flackernde Schein der Fackel, der den Stollen beleuchtet hat, verlöscht und weicht teeriger Schwärze. Dunkelheit, die so vollkommen ist, dass keines Menschen Blick sie zu durchdringen vermag, umgibt sie, und plötzlich hat sie nicht mehr das Gefühl, eine erwachsene Frau zu sein, sondern ein hilfloses Kind.
    Zu ihrer Trauer gesellt sich Furcht. Kalt und schneidend fährt sie in ihre Eingeweide, während sie sich angstvoll in der Finsternis umblickt – wissend, dass die Schwärze nicht leer ist, sondern dass zahllose Augen auf sie starren.
    »Vater …?«
    »Vater, hilf mir …!«
    Ihr eigener Schrei riss Sarah Kincaid aus dem Schlaf.
    Sie brauchte einige Augenblicke, um herauszufinden, dass sie sich weder in den düsteren Katakomben Alexandrias befand noch von Finsternis umgeben war. Es war nur ein Traum gewesen – jener Traum, der sie seit dem Tod ihres Vaters wieder und wieder verfolgte und dem sie nicht entfliehen konnte, ganz gleich, was sie unternahm.
    Wahrscheinlich, sagte sie sich, war es ihr Schicksal, wieder und wieder jene traumatischen Ereignisse nachzuempfinden, die ihr Leben so grundlegend verändert hatten – und mit ihnen den Albtraum einer verlorenen Kindheit, an die sie sich nicht erinnern konnte.
    »Alles in Ordnung?«
    Es war seine Stimme, die Sarah vollends zu sich brachte und ihr klar machte, dass jene grausamen Dinge zwar geschehen waren, sie jedoch keineswegs mehr allein und hilflos war.
    Kamal Ben Nara.
    Während ihres letzten Aufenthalts in Ägypten hatte sie ihn kennen und lieben gelernt, als sie sich auf die Suche nach dem Buch von Thot
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