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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx
Autoren: Michael Peinkofer
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folgen. Niemals, hörst du? Niemals …«
    In einem störrischen Aufbäumen letzter Kraft hatte sich Ptolemaios auf seinem Lager halb aufgerichtet. Seine knochige Rechte hatte den Saum von Josephos’ Gewand gefasst, und er blickte dem Schreiber so tief in die Augen, dass dieser den Wahnsinn darin erkennen konnte.
    In diesem Moment erschien der Diener, den man geschickt hatte, ein seidenes Kissen in den Händen, auf dem eine unscheinbare Phiole aus blauem Glas lag.
    Trotz seines geschwächten Zustands ließ Ptolemaios einen triumphierenden Laut vernehmen. »Ewiges Leben«, rief er, ehe er seinem Leibdiener befahl, die kleine, mit Wachs versiegelte Flasche zu entkorken und an seine Lippen zu setzen.
    Die Flüssigkeit, die sich darin befand, benetzte seine Zunge und seinen Gaumen, und Ptolemaios trank in gierigen Schlucken. Kaum hatte er das Wenige, das sich nach all der Zeit noch in der Flasche befand, hinabgeschluckt, befiel ihn erneut ein schwerer Husten, der seine gebrechliche Gestalt erbeben ließ.
    Die Hofbeamten und Generäle tauschten erneut vielsagende Blicke, während sie sich fragten, wie lange der Todeskampf ihres Herrschers, der über eine so lange und wechselvolle Zeitspanne regiert hatte, wohl noch andauern würde. Ein weiterer Diener trat hinzu, um Ptolemaios’ kahles Haupt auf ein frisches Kissen zu betten – der Hustenanfall des Herrschers legte sich jedoch nicht. Keuchend und sich am ganzen Körper schüttelnd, rang er nach Atem. Seine goldberingte Hand fuhr an seine Kehle, während er in wilde Zuckungen verfiel und seine Augen fast aus den Höhlen treten wollten.
    In diesem Augenblick begriffen die Hofschranzen des Ptolemaios, dass dies kein gewöhnlicher Hustenanfall war, sondern dass er mit dem Inhalt der Phiole zusammenhing, den der König getrunken hatte. Statt ihm ewiges Leben zu bescheren, wie Ptolemaios wohl gehofft hatte, schien das Serum sein Ableben nur noch zu beschleunigen.
    Ptolemaios wand sich vor Schmerzen.
    Sein Husten ging in ein Röcheln über, Blut rann ihm aus Mundwinkeln und Nase. Dabei schlug er wild mit den Armen um sich und versuchte, sich aus dem Bett zu erheben, sodass die Hofbeamten sich gemüßigt sahen, vorzutreten und ihn daran zu hindern.
    »Arsinoë«, würgte er mit fiebrigem Blick hervor. »Arsinoë, was hast du nur getan …?«
    Sein Oberkörper fiel zurück auf das Laken, das sich blutig unter ihm färbte, und indem er einen letzten, heiseren Schrei ausstieß, fand der Herrscher des Ptolemäerreiches vor den Augen seiner Untergebenen und Diener ein grässliches Ende.
    So forderte das Wirken Arsinoës, die den Hof von Alexandrien über eine lange Zeit hinweg mit ihren Lügen und Intrigen vergiftet hatte, noch viele Jahre nach ihrem Tod ein letztes Opfer – und ein jüdischer Gelehrter mit Namen Josephus gehorchte der letzten Weisung seines Herrschers und schrieb alles auf, was sich an jenem Tag ereignet hatte, auf dass es der Nachwelt überliefert werde.

 
1. BUCH
YORKSHIRE & LONDON

1.
    U NBEKANNTER O RT
S EPTEMBER 1884
    Eine Kammer, der Welt entrückt, die keine Fenster besaß und keine gewöhnliche Tür, sodass kein Laut von dem, was innerhalb jener vier Wände gesprochen wurde, nach außen drang.
    Die beiden Personen, die sich in der Mitte des Raumes gegenübersaßen, waren sich der Brisanz des Augenblicks bewusst. Je mehr Zeit verstrich, je mehr von dem Geheimnis enthüllt wurde, das sie hüteten, desto wichtiger war es, die Kontrolle zu behalten. Im Verlauf des vergangenen Jahres jedoch war ihnen diese Kontrolle entglitten.
    »Kaum zu glauben«, sagte die eine Person und blickte auf die Photographie, die vor ihr auf dem Schreibtisch lag und eine junge Frau mit langem schwarzem Haar zeigte, das sie – entgegen der landläufigen Mode – in der Mitte gescheitelt und offen trug.
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Ich kann nicht glauben, dass dieses unscheinbare Frauenzimmer zwei unserer Agenten unschädlich gemacht haben soll.«
    »Es mag Ihnen schwerfallen, dies anzuerkennen, aber genauso ist es gewesen. Bei allem, was Sie unternehmen, sollten Sie sich daher stets eines vergegenwärtigen.«
    »Nämlich?«
    »Dass was immer Sie auf dieser Photographie zu erkennen glauben, nur ein Teil der Wahrheit ist. Und dass diese Frau den besten Lehrer hatte, den man sich vorstellen kann.«
    »Gardiner Kincaid?« Die andere Person sprach den Namen mit Verachtung aus. »Er hat unsere Organisation verraten.«
    »Dennoch war er ein brillanter Forschergeist, ohne dessen Zutun
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