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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand
Autoren: Ian McEwan
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neben dem mächtigen, entwurzelten Baum stand. In seiner Wut bückte sich Edward, um einen großen, glatten Stein aufzuheben, den er in seine rechte Hand klatschte, dann in seine linke.
    Er schrie jetzt fast. »Mit meinem Leib verehre ich dich! Das hast du mir heute versprochen. Vor allen Leuten. Begreifst du nicht, wie widerlich und lächerlich dein Vorschlag ist? Und wie du mich damit beleidigst? Mich beleidigst, mich! Ich meine, ich...« Er suchte nach Worten. »Wie kannst du es wagen!«
    Er machte einen Schritt auf sie zu, die Hand mit dem Stein erhoben, dann wirbelte er herum und schleuderte ihn in seiner Verzweiflung in Richtung Meer. Noch ehe der Kiesel kurz vor dem Wasser aufschlug, fuhr Edward wieder zu ihr herum. »Du hast mich reingelegt. Eigentlich bist du eine Betrügerin. Und ich weiß genau, was du sonst noch bist. Weißt du das auch? Du bist frigide, das bist du. Völlig frigide. Aber du hast dir gedacht, du brauchst einen Mann, und ich war eben der erste Idiot, der dir über den Weg gelaufen ist.«
    Sie wußte, sie hatte ihn nicht absichtlich getäuscht, aber alles andere schien völlig wahr zu sein, sobald er es aussprach. Frigide, dieses schreckliche Wort, von dem sie genau wußte, wie es zu ihr paßte. Ihr war klar, was das Wort bedeutete. Ihr Vorschlag war widerlich - wieso hatte sie das nicht gleich gemerkt? - und zweifellos eine Beleidigung. Schlimmer noch, sie hatte ihr Versprechen gebrochen, das sie in der Kirche, in aller Öffentlichkeit gegeben hatte. Sobald er zu reden begann, paßte alles genau zusammen. Sie war nichtswürdig, in seinen ebenso wie in ihren eigenen Augen.
    Sie hatte nichts mehr zu sagen und trat aus dem Schutz des umgestürzten Baumstammes. Um zum Hotel zu kommen, mußte sie an ihm vorbeigehen, doch blieb sie direkt vor ihm noch einmal stehen und sagte mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war: »Vergib mir, Edward. Es tut mir außerordentlich leid.«
    Einen Moment verharrte sie, zögerte, wartete auf seine Antwort, dann machte sie sich auf den Weg.
    Ihre Bemerkung, die etwas altmodische Wahl der Worte, sollte ihn noch lange verfolgen. Manchmal wachte er nachts auf und hörte Florence, vielleicht auch nur ihr Echo, ihren sehnsüchtigen, bedauernden Tonfall, und dann stöhnte er auf bei der Erinnerung an jenen Augenblick, an sein Schweigen und daran, wie er sich wütend von ihr abgewandt hatte, wie er nach ihrer Kränkung, Demütigung und Beleidigung noch eine Stunde am Strand geblieben war und genüßlich seine Schmach ausgekostet hatte, zutiefst davon überzeugt, auf tragische Weise durch und durch im Recht zu sein und ein unfaires Schicksal zu erleiden. Er lief am Strand auf und ab, schleuderte Kiesel ins Meer und schrie ihnen obszöne Flüche nach. Dann sackte er neben dem Baum zusammen und versank in träumerisches Selbstmitleid, bis seine Wut erneut aufflammte. Er trat ans Ufer, dachte an Florence und merkte nicht, wie die Wellen über seine Schuhe spülten. Schließlich trottete er langsam über den Strand zurück, blieb aber immer wieder stehen, um in Gedanken einen gestrengen, unparteiischen Richter anzurufen, der seinen Fall bis ins Detail verstand. In seinem Elend kam er sich beinahe heroisch vor.
    Als er im Hotel ankam, hatte Florence ihre Tasche gepackt und war abgereist. Im Zimmer war keine Nachricht für ihn. Am Empfang sprach er mit den beiden Burschen, die ihnen das Dinner serviert hatten. Sie machten keine Bemerkung, waren aber offenkundig erstaunt, daß er nichts vom Krankheitsfall in der Familie wußte und auch nichts davon, daß man seine Frau dringend gebeten hatte, sofort nach Hause zurückzukehren. Der Direktionsassistent war so freundlich gewesen, sie nach Dorchester zu fahren, wo sie den letzten Zug nach Oxford zu erwischen hoffte. Als Edward sich abwandte, um wieder zur Hochzeitssuite hinaufzugehen, sah er zwar nicht, wie sich die jungen Männer einen bedeutungsvollen Blick zuwarfen, konnte es sich aber bestens vorstellen.
    Den Rest der Nacht lag er wach im Himmelbett, vollständig angezogen und immer noch wütend. In einem wilden, endlosen Reigen wirbelten seine Gedanken im Kreis herum. Ihn zu heiraten und dann zu verschmähen, das war ungeheuerlich, die wollte glatt, daß er es mit anderen Frauen machte, würde dabei womöglich noch zusehen, so eine Demütigung, einfach unglaublich, keiner nähme ihm das ab, sagte, sie Hebe ihn, dabei hatte er ihre Brüste kaum je zu Gesicht gekriegt, hatte ihn in die Ehe gelockt, wußte nicht mal,
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