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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand
Autoren: Ian McEwan
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sie erstaunt: »Du hast mich geliebt?«
    Er nahm nichts zurück. Vielleicht war er selbst kein übler Taktiker. Er sagte bloß: »Wir hätten zusammen frei sein können, könnten im Paradies sein. Statt dessen stecken wir in diesem Schlamassel.«
    Die schlichte Wahrheit seiner Bemerkung ent-waffnete sie, ebenso die Rückkehr zu einer hoffnungsvolleren Zeitform. Das Wort »Schlamassel« erinnerte sie allerdings an die häßliche Szene im Schlafzimmer, an die klebrige Flüssigkeit auf ihrer Haut, die zu einer rissigen Glasur verhärtet war. Sie wußte genau, daß sie so etwas nicht noch einmal zulassen würde.
    »Ja«, antwortete sie unbestimmt.
    »Soll heißen?«
    »Es ist ein Schlamassel.«
    Danach herrschte Schweigen, eine Art Pattsituation, in der sie auf unbestimmte Dauer feststeckten, während sie den Wellen lauschten, dem gelegent-lichen Gesang des Vogels, der weiter fort geflogen war, dessen Rufe aber noch klarer zu ihnen herüberdrangen. Wie Florence es geahnt hatte, legte Edward ihr schließlich eine Hand auf die Schulter. Eine freundliche Berührung, deren Wärme ihr über den Rücken bis ins Kreuz kroch. Sie wußte nicht mehr, was sie denken sollte, und konnte es nicht leiden, wie sie sich berechnend fragte, wann sie sich umdrehen sollte. Sie stellte sich vor, wie er sie sah, linkisch und spröde wie ihre Mutter, schwer zu durchschauen, eine Frau, die Schwierigkeiten bereitete, während sie doch unbeschwert im Paradies sein konnten. Also sollte sie es für ihn leichter machen. Das war ihre Pflicht, die Pflicht einer Ehefrau. Und sie drehte sich um und trat einen Schritt zurück, entzog sich ihm, weil sie nicht geküßt werden wollte, jetzt jedenfalls noch nicht. Sie brauchte einen klaren Kopf, um ihm von ihrem Plan zu erzählen, aber immerhin standen sie so nahe beieinander, daß Florence noch ein wenig von seinem Gesicht erkennen konnte. Vielleicht trat in diesem Moment der Mond vor. Und Edward hatte wieder diesen Blick, einen Blick voller Staunen, den er aufsetzte, wenn er ihr sagen wollte, wie schön sie war. Sie hatte ihm nie recht geglaubt, und es irritierte sie, wenn er das sagte, weil er dann womöglich etwas von ihr wollte, das sie ihm vielleicht nie würde geben können. Von diesen Überlegungen abgelenkt, kam sie nicht dazu, ihm das zu sagen, was sie eigentlich sagen wollte.
    Sie hörte sich fragen: »Ist das eine Nachtigall?«
    »Eine Amsel.«
    »Im Dunkeln?« Sie konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen.
    »Wahrscheinlich hat der Vogel hier sein Revier. Muß sich ganz schön abrackern, der Arme.« Dann setzte er hinzu: »Genau wie ich.«
    Plötzlich mußte sie lachen. Es war, als hätte sie es fast vergessen gehabt, sein wahres Ich, doch jetzt stand Edward wieder deutlich vor ihr, der Mann, den sie liebte, ihr alter Freund, der so unerwartete, liebenswerte Dinge sagte. Allerdings war es ein beklommenes Lachen, denn sie kam sich ein bißchen verrückt vor. Noch nie hatten ihre Gefühle so geschwankt, hatte sie ein solches Auf und Ab gekannt. Und jetzt wollte sie auch noch einen Vorschlag machen, der einerseits völlig vernünftig klang, andererseits aber - sie wußte es gar nicht genau zu sagen - einfach unerhört war. Sie kam sich vor, als versuchte sie, das Leben neu zu erfinden. Bestimmt würde sie alles verpatzen.
    Von ihrem Lachen verleitet, trat er näher und griff nach ihrer Hand, aber sie wich erneut vor ihm zurück. Entscheidend war jetzt, daß sie einen klaren Kopf behielt. Und wie sie es in Gedanken geübt hatte, begann sie ihre Rede mit dem allerwichtigsten Bekenntnis.
    »Du weißt, ich liebe dich. Sehr sogar. Und ich weiß, daß du mich liebst. Daran habe ich nie ge-zweifelt. Ich bin gern mit dir zusammen, und ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, und du sagst, daß du das gleiche für mich empfindest. Es sollte also alles ganz einfach sein. Ist es aber nicht, wir stecken in einem Schlamassel, wie du schon gesagt hast. Trotz all unserer Liebe. Ich weiß auch, daß dies ganz allein meine Schuld ist, und wir kennen beide den Grund. Dir dürfte inzwischen ziemlich klargeworden sein, daß ...«
    Sie stockte, er wollte etwas sagen, aber sie hob eine Hand.
    »Daß ich in Sachen Sex ein ziemlich hoffnungsloser, nein, ein total hoffnungsloser Fall bin. Nicht nur, daß ich darin nicht besonders gut bin, ich scheine ihn, anders als du oder andere Menschen, auch gar nicht zu brauchen. Er geht mir völlig ab. Ich mag ihn nicht, mag nicht einmal den Gedanken daran. Keine Ahnung,
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