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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand
Autoren: Ian McEwan
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Seeräuber gelegentlich einen Schluck aus der Flasche gönnen.
    Sie hatten so viele Pläne, hochfliegende Pläne für die neblig verhangene Zukunft, vielfältig ineinander verwoben wie die Sommerflora an der Küste von Dorset - und ebenso schon: wo und wie sie leben wollten, wer ihre engsten Freunde sein würden, seine Stelle in der Firma ihres Vaters, ihre musikalische Karriere und was sie mit dem Geld anfangen würden, das Florence von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte, aber auch, warum sie nicht wie andere Leute sein wollten, innerlich jedenfalls nicht. Zu jener Zeit - sie würde später in diesem legendären Jahrzehnt zu Ende gehen - empfand man Jungsein noch als Bürde, als ein Kainsmal der Bedeutungslosigkeit, einen leicht peinlichen Zustand, der mit der Hochzeit ein Ende fand. Einander beinahe fremd standen sie in noch ungewohnter Zweisamkeit vor einem Höhepunkt ihres Lebens, froh, daß ihr neuer Status versprach, sie von ihrer ewigen Jugend zu erlösen - Edward und Florence, endlich frei! Dabei gehörte die Kindheit zu den Themen, über die sie sich gern unterhielten, doch drehten sich ihre Gespräche weniger um deren Freuden als um den Nebel komischer Mißverständnisse, aus dem sie nun aufgetaucht waren, die überholten Erziehungsmethoden und die vielen Irrtümer ihrer Eltern, die sie ihnen nun vergeben konnten.
    Von ihrer neuen Höhe herab hatten sie eine klare Sicht, doch konnten sie einander gewisse sich widerstreitende Empfindungen nicht beschreiben: Beide fürchteten auf je eigene Weise jenen Moment nach dem Abendessen, in dem ihre neugewonnene Reife auf die Probe gestellt werden sollte und sie sich voreinander vollständig entkleiden würden, um gemeinsam ins Himmelbett zu steigen. Seit mehr als einem Jahr war Edward von dem Gedanken daran wie benommen, daß der empfindlichste Teil seiner selbst an einem bestimmten Tag im Juli für eine gewisse Zeit, und sei sie noch so kurz, in der natürlichen Höhlung dieser fröhlichen, liebenswerten und so außerordentlich intelligenten Frau weilen würde. Die Frage, wie dies ohne Enttäuschungen oder Peinlichkeiten zu bewerkstelligen war, ließ ihm keine Ruhe. Dabei rührten seine Bedenken vor einer möglichen Übererregung, dem, was jemand einmal »zu früh kommen« genannt hatte, von einem einzigen unglückseligen Vorfall her. Schon der bloße Gedanke daran verfolgte ihn, doch so große Angst er auch vor dem Versagen hatte, sein Verlangen nach Glückseligkeit, nach dem Ende aller Zweifel, war weit größer.
    Die Sorgen von Florence wogen schwerer, so schwer, daß sie auf dem Weg von Oxford nach Dorset immer wieder kurz davor gewesen war, all ihren Mut zusammenzuraffen und sich Edward anzuvertrauen. Doch was sie beunruhigte, ließ sich nicht in Worte fassen; sie konnte es sich selbst kaum verständlich machen. Während Edward bloß an der üblichen Nervosität vor der ersten Nacht litt, plagte Florence eine tiefsitzende Furcht, ein hilfloser Widerwille so heftig wie die Seekrankheit. Eine Zeitlang- während all der Monate, in denen sie voller Vorfreude ihre Hochzeit planten - gelang es ihr, diesen Schatten über ihrem Glück zu ignorieren, doch sooft sie sich in Gedanken jener engen Umarmung näherte - wie sie es lieber nannte -, zog sich ihr der Magen zusammen, und sie spürte Brechreiz in sich aufsteigen. In einem fortschrittlichen, modernen, für angehende Bräute angeblich hilfreichen, in fröhlichem Ton verfaßten Handbuch mit vielen Ausrufezeichen und numerierten Illustrationen war sie auf Übelkeit erregende Worte und Wendungen gestoßen: Schleimhaut etwa oder das bösartig glitzernde Wort Penisspitze. Andere Ausdrücke beleidigten ihre Intelligenz, vor allem jene, bei denen es ums Eindringen ging: Kurz bevor er in sie eindringt... oder nun endlich dringt er in sie ein und erlöst läßt sie, gleich nachdem er in sie eingedrungen ist ... Wurde von ihr etwa erwartet, daß sie sich in dieser Nacht für Edward in ein Portal verwandelte, eine Art Vorhalle, durch die er Einzug hielt? Vor allem ein Wort schien ihr nichts als Schmerz zu verheißen: Penetration, ein Wort, als ob jemand Fleisch mit einem Messer zerteilte.
    In optimistischeren Momenten redete sie sich ein, sie leide bloß an einer ausgeprägten Form von Überempfindlichkeit, die sich gewiß bald legte. Allerdings ließ allein der Gedanke an Edwards unter dem erigierten Penis noch so ein abscheulicher Ausdruck - baumelnde Hoden ihre Oberlippe zittern; und schon die bloße Vorstellung, »da
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