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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand
Autoren: Ian McEwan
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die sie aus seinem häufigen »Du« heraushörte. Wie viele Vorwürfe sollte sie in einer so kurzen Rede denn noch ertragen können?
    Falls sie ihn getroffen hatte, ließ er es sich nicht anmerken, doch konnte sie sein Gesicht im Dunkeln kaum erkennen. Vielleicht aber war es auch gerade die Dunkelheit, die ihr Mut machte.
    Als er wieder zu reden begann, sagte er ganz leise: »Ich laß mich von dir nicht demütigen.«
    »Und ich laß mich von dir nicht unter Druck setzen.«
    »Tu ich ja auch gar nicht.«
    »Tust du wohl. Hast du schon immer getan.«
    »Das ist doch lächerlich. Wovon redest du überhaupt?«
    Sie war sich nicht sicher, wußte aber nun, welchen Weg sie einschlagen würde. »Ständig bedrängst du mich, forderst, willst was von mir. Nie können wir einfach nur Zusammensein. Nie einfach nur glücklich sein. Dieser endlose Druck. Immer willst du noch etwas mehr. Dieses ewige Ge-schleime.«
    »Geschleime? Ich verstehe dich nicht. Jedenfalls will ich hoffen, daß du nicht von Geld redest.«
    Tat sie nicht. Daran hatte sie nicht einmal gedacht. Wie unverschämt, jetzt auf Geld zu kommen. Wie konnte er nur? Also sagte sie: »Tja, da du es erwähnst, scheint dich der Gedanke daran ja sehr zu beschäftigen.«
    Sein Sarkasmus war es, der sie aufstachelte. Oder sein unverblümter Ton. Das, worauf sie sich bezog, war wichtiger als Geld, nur wußte sie nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Es ging um seine Zunge, die sich tiefer in ihren Mund drängte, seine Hand, die er stets weiter unter den Rock oder die Bluse schob und die ihre Hand zu seinem Schoß zog, seine Art, den Blick abzuwenden und zu verstummen. Es ging um die dumpfe Erwartung, daß sie immer mehr gab, und wenn sie es nicht tat, stieß sie ihn vor den Kopf, hielt ihn nur auf. Wie oft sie auch eine Grenze übertrat, stets drängte er weiter. Jedes Zugeständnis erhöhte die Forderungen und verstärkte die Enttäuschung. Selbst in ihren glücklichsten Augenblicken gab es diesen Schatten des Vorwurfs, die kaum verhehlte Bedrückung über seine ausgebliebene Erfüllung, die sich wie ein Alptraum über alles legte, ein ständiger Kummer, für den sie allein verantwortlich war, darin jedenfalls waren sie sich einig. Sie wollte verliebt sein, und sie wollte sie selbst sein. Doch um sie selbst sein zu können, mußte sie ständig nein sagen, und dann war sie nicht mehr sie selbst. Sie sah sich auf die Seite des Kränklichen verbannt, als Widersacherin des normalen Lebens angeprangert. Es irritierte sie, daß er ihr so rasch über den Strand gefolgt war, obwohl er ihr doch Zeit für sich selbst hätte lassen müssen. Dabei war das, was hier an den Ufern des Ärmelkanals geschah, nur ein kleines Steinchen in einem großen Ganzen. Sie sah die Zukunft schon vor sich. Sie stritten sich, sie würden sich wieder versöhnen, zumindest halbwegs, er würde sie ins Zimmer zurücklocken, und dann sah sie sich aufs neue mit seinen Erwartungen konfrontiert. Und wieder würde sie versagen. Sie bekam kaum noch Luft. Ihre Ehe war gerade acht Stunden alt, doch jede Stunde lastete auf ihr, und das immer schwerer, weil sie nicht wußte, wie sie ihm von ihrer Idee erzählen sollte. Also mußte das Geld als Thema herhalten - und es eignete sich offenbar hervorragend, denn jetzt war er wirklich wütend.
    Er sagte: »Geld hat mich noch nie interessiert, deins nicht und auch nicht das Geld von sonst ir-gendwem.«
    Sie wußte, daß es stimmte, sagte aber nichts.
    Er hatte seine Stellung verändert, sie erkannte seine Umrisse jetzt deutlich vor dem verblassenden Schimmer auf dem Wasser. »Dann behalt doch dein
    Geld, gib das Geld deines Vaters für dich selber aus. Kauf dir eine neue Geige. Vergeude es bloß nicht für etwas, das ich gebrauchen könnte.«
    Er klang aufgebracht. Sie hatte ihn verletzt, schwerer, als sie wollte, aber im Moment war ihr das egal, und es half, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Sie hatten noch nie über Geld geredet. Das Hochzeitsgeschenk ihres Vaters waren zweitausend Pfund gewesen. Vage hatten sie darüber gesprochen, daß sie eines Tages davon vielleicht ein Haus kaufen würden.
    Er sagte: »Du glaubst, ich habe mich für die Stelle in seiner Firma bei euch eingeschleimt? Das war doch deine Idee. Und ich will sie nicht. Verstehst du? Ich arbeite nicht für deinen Vater. Du kannst ihm ruhig sagen, ich hätte meine Meinung geändert.«
    »Sag’s ihm selbst. Wird ihn bestimmt freuen. Er hat deinetwegen nämlich ziemliche Umstände gehabt.«
    »Gut, das
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