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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Autoren: Harry Kemelman
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viele Leute eingeladen.»
    «Dann fällt es nicht auf, wenn wir nicht da sind», antwortete der Rabbi knapp. «Außerdem kommt keiner pünktlich.» Er wandte sich an Lanigan. «Nehmen wir an, es war Safferstein.»
    «Warum sollten wir?»
    «Warum sollten wir nicht? Es ist lediglich eine Annahme, ein Punkt, an den wir anknüpfen können. Und wegen der Gründe, die ich Ihnen gab, ist es keineswegs eine willkürliche Annahme.»
    «Na schön.» Lanigan warf seinen Mantel auf den Schreibtisch, winkte seinen Besuchern, Platz zu nehmen, und zog seinen Drehsessel zurück. Miriam setzte sich, der Rabbi aber blieb stehen.
    «Lassen Sie uns zunächst die Lage klären», begann der Rabbi.
    «Gut. Und wie?»
    «Indem wir das Offensichtliche ausscheiden», antwortete der Rabbi munter. «Ich meine, wenn wir annehmen, dass Safferstein die Pillen vertauscht hat, kann es sich nicht um einen Zufall handeln.»
    «Aber Sie waren es doch, der ursprünglich behauptet hat, es müsse ein Zufall gewesen sein», wandte Lanigan selbstgefällig ein.
    «Aber das war, als wir dachten, es sei im Drugstore passiert. Dort wäre das, wenn auch unwahrscheinlich, immerhin möglich gewesen. Aber nicht, wenn man allein im Wagen sitzt wie ein kleiner Junge, der mit den Pillen spielt, als wären es Murmeln, und sie dann in die falschen Flaschen füllt.»
    Lanigan grinste. «Ich denke, dem kann ich ohne weiteres zustimmen.»
    «Also muss es Absicht gewesen sein», fuhr der Rabbi fort. «Ob nun als Scherz gedacht oder …»
    «Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein erwachsener Mann für einen Scherz hält, wenn er die Medikamente von zwei Kranken vertauscht, von denen einer noch dazu seine Frau ist.»
    «Das kann ich auch nicht», antwortete der Rabbi. «Also bedeutet dies, dass er jemandem schaden wollte. Aber wahrscheinlich nicht den Kestlers, da er sie ja gar nicht kannte. Dann wäre aber Mrs. Safferstein das auserwählte Opfer gewesen.»
    «Keine sehr stichhaltige Vermutung», entgegnete Lanigan. «Wenn er seiner Frau hätte schaden wollen, wäre er sofort nach Hause gefahren und hätte ihr eine von den Pillen gegeben. Aber er ist überhaupt nicht nach Hause gefahren. Sondern zu den Kaplans.»
    «Warum?»
    «Er behauptete, weil das Unwetter so schlimm gewesen sei und weil er irgendwo unterkriechen wollte.»
    Der Rabbi begann auf und ab zu gehen, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen zur Decke gerichtet. Die anderen beiden beobachteten ihn. Unvermittelt blieb er stehen und wandte sich an Lanigan.
    «Wissen Sie, wo die Kaplans wohnen?»
    «Selbstverständlich.»
    «Und die Saffersteins?»
    «Gewiss.»
    «Nun, wie ich soeben festgestellt habe, wohnen die Saffersteins nicht weiter vom Town-Line Drugstore entfernt als die Kaplans», sagte der Rabbi. «Wenn er also nicht in dem Unwetter fahren wollte, hätte er ebenso gut heimfahren können.»
    Lanigan runzelte die Stirn; mit angedeuteten Kopfbewegungen verfolgte er in Gedanken zwei Fahrtrouten. Schließlich nickte er. «Sie haben Recht, bis auf etwa fünfzig Yards.»
    «Warum ist er also zu den Kaplans gefahren?»
    «Sagen Sie’s mir», antwortete Lanigan.
    Der Rabbi lächelte. «Es ist doch sonderbar, nicht wahr? Seine Frau ist krank, und er fährt los, um ihr das Medikament zu holen. Aber dann fährt er keineswegs nach Hause, um es ihr zu bringen. Das hat mich eigentlich auf ihn gebracht. Denn wenn er die Pillen vertauscht hätte, wäre es sinnlos für ihn gewesen, nach Hause zu fahren. Die Pillen, die er bei sich hatte, konnte er ihr nicht geben, weil es Kestlers Pillen waren. Dennoch meine ich, er hätte heimfahren und sich eine Ausrede dafür einfallen lassen können, dass er die Pillen nicht mitgebracht hatte, und sei es, um den Schein zu wahren.»
    «Und warum hat er es dann nicht getan?»
    «Natürlich, weil er zu den Kaplans musste.»
    «Weil er dort jemanden treffen wollte?», fragte Lanigan. «Kaplan vielleicht?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Nein, nicht Kaplan. Da es sich um die Pillen handelte, nehme ich an, es war Dr. Muntz, der Arzt, der sie verschrieben hatte.»
    «Was sollte er denn von Dr. Muntz gewollt haben?»
    «Vermutlich wollte er ihm die Pillen zeigen», erklärte der Rabbi ruhig.
    «Aber das hat er nicht getan.»
    «Nein, das hat er nicht getan. Das ist die Ironie an der Situation. Er konnte es nicht tun, weil er selber das Opfer einer Verwechslung wurde. Er hatte die Pillen in der Manteltasche, und dann hat jemand aus Versehen seinen Mantel mitgenommen.»
    «Aber wenn er
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