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Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße
Autoren: Brian Keene
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Händen abzählen: Christy und Russ, Cranston von unten, meinen Chef in der Pizzeria und die anderen Lieferjungen. Und Dez. Aber Dez zählt nicht, weil jeder in Walden wusste, wer er war. Ihn konnte man einfach nicht übersehen. Er war der einzige Obdachlose in der Stadt – und das eigentlich aus freien Stücken. Deshalb kannte jeder Dez. Er war die Ausnahme von der Regel.
    In Walden blieb man nicht stehen und berichtete den Leuten auf der Straße von den Ereignissen in seinem Leben. Klar, manchmal nickte man, um zu signalisieren, dass man sie gesehen hatte. Vielleicht machte man sogar mal einen Kommentar über das Wetter oder fragte jemanden nach der Uhrzeit. Aber das war’s auch schon. Es
gab keinen Billigladen, in dem man Schokobonbons kaufen oder sich die Comics in dem quietschenden Drehständer anschauen konnte. Keinen netten Apotheker, der Arzneien und großväterliche Ratschläge gleichermaßen verteilte. Und auch keine Tante-Emma-Läden, denn die gehörten der Vergangenheit an. In Walden gab es nur die üblichen 08/15-Ladenketten, die man in jeder amerikanischen Kleinstadt finden kann: Wal-Mart, McDonald’s, Best Buy, Burger King, Staples, Body Shop, Barnes & Noble, Subway und Starbucks an jeder Ecke. Für eine Einwohnerzahl von gut elftausend Menschen scheint das ziemlich viel zu sein, aber es gab im Umkreis noch ein paar andere kleine Städte, denen wir als Geschäftszentrum dienten. Abgesehen von dem New-Age-Ökoladen und dem Comicshop gab es lediglich drei unabhängige Geschäfte in der Stadt, und zwar die protestantische, die methodistische und die katholische Kirche – und die hatten nicht viel Laufkundschaft.
    Ich wette, so war es überall in Amerika. Diese alten Teenager-Schmonzetten sind nichts als Lügen.
    Feuerwehrfeste und Kirchenfrühstücke waren nicht die Highlights des gesellschaftlichen Lebens, und die Familien versammelten sich nicht um den Abendbrottisch oder den Fernseher, denn die Kinder hingen im Internet, und die Eltern waren entweder geschieden oder hatten zwei Jobs. An einer roten Ampel kannte niemand den Fahrer im Auto nebenan. Gelb bedeutete eher Gas geben als Bremsen. Ärzte machten keine Hausbesuche, weil die Versicherungen es untersagten. Die Bedienungen in den Lokalen kannten weder die Namen ihrer Gäste
noch fragten sie, ob diese »das Übliche« wollten. Die Kinder strampelten nicht mit ihren Fahrrädern durch die Stadt oder bauten sich im Wald ein Fort, weil die Eltern ihren Kindern so etwas nicht mehr erlaubten. Im einundzwanzigsten Jahrhundert kannte man seine Nachbarn nicht mehr, und man konnte ja nicht wissen, ob sie vielleicht Kinderschänder oder Serienkiller waren, also ließ man seine Kinder höchstens noch hinten in den Hof, und selbst dann nur unter strenger Aufsicht.
    Ist das nicht seltsam? Vor der Dunkelheit galt unsere Zeit als das Informationszeitalter. Die Leute redeten davon, dass unser Planet ein verdammtes globales Dorf sei. Wir lebten in einer Welt, in der man mal eben online gehen und mit irgendeinem Typen in Australien Schach spielen oder virtuellen Sex mit einer Frau haben konnte, der man noch nie begegnet war und es wahrscheinlich auch nie tun würde, da sie in Schottland lebte – und eventuell nicht einmal eine Frau war, sondern ein auf Weibchen machender Kerl. Obwohl all diese sozialen und globalen Schranken gefallen waren, waren wir mehr denn je eine Nation der Entfremdung. Und der Geheimnisse. Wir kannten jemanden aus dem Netz, dem wir nie persönlich begegnet waren. Kannten seinen Benutzernamen und seinen Avatar und bezeichneten ihn als Freund, hatten aber gleichzeitig keinen Schimmer von den Menschen, die direkt nebenan wohnten. Wir hingen lieber bei irgendwelchen Message Boards rum als in Bars. Wir brachten unseren Nachbarn keinen Apfelkuchen vorbei, wenn sie krank waren, und wir verglichen auch nicht unsere verschiedenen Mähtechniken bei einem Schwätzchen
am Gartenzaun. Wir hatten keine Ahnung, was unsere Nachbarn hinter verschlossenen Türen ausheckten oder wie sie privat eigentlich so drauf waren.
    Bis die Dunkelheit kam. Dann nahmen alle ihre Masken ab. Jeder zeigte sein wahres Gesicht, weil es einfach keine Rolle mehr spielte. Und in den meisten Fällen waren diese Gesichter hässlich und monströs. Nicht böse. Nicht wirklich. Böse ist ein zu starkes Wort. Böse ist nichts weiter als eine Vorstellung, ein Begriff, den wir benutzen, um etwas zu beschreiben, das sich anders nicht erfassen lässt. Wann immer wir uns die Handlungen
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