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Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße
Autoren: Brian Keene
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bis ich heimkam, aber das war ziemlich hart für sie. Sie arbeitete als Teilzeitkraft und so gut wie immer tagsüber in dem kleinen New-Age-Laden der Stadt. Aber irgendwie bekamen wir es hin.
    Früher liebte ich die Nacht. Die Dunkelheit war wie ein alter Freund. Ich genoss sie. Hieß sie willkommen. Nachts war die Welt friedlich, still und entspannend. Die Nacht hatte ihre ganz eigene Energie und barg unendlich viele Möglichkeiten.
    Heute empfinde ich das nicht mehr so. Die Dunkelheit verbirgt ganz andere Dinge.
    Seit den Tagen, als wir noch Höhlenmenschen waren, einander die Läuse aus den Haaren gepickt und versucht haben, nicht vom Säbelzahntiger gefressen zu werden, hatte der Mensch Angst vor der Dunkelheit. Früher habe ich nie verstanden, warum.
    Ich sitze hier, pfeife ein Lied von Flogging Molly und wünschte, es gäbe noch Strom, damit ich mit meinem iPod Musik hören könnte. Um wieder Musik hören zu können, würde ich sogar töten – also, richtige Musik natürlich, nicht Cranston aus dem Erdgeschoss, wenn er auf seiner alten, verstimmten Gitarre herumzupft, oder die Ghettokids, wenn sie sich um die brennende Tonne auf dem Bürgersteig versammeln und sich gegenseitig ihre schlechten Rap-Nummern vorstammeln. Oh ja, ein bisschen Flogging Molly könnte ich jetzt echt brauchen. Oder Tiger Army. Oder The Dropkick Murphys. Nur ein bisschen davon würde die Dunkelheit vertreiben.

    Nein. Nein, würde es nicht. Wem will ich hier etwas vormachen? Musik bringt nichts. Die Dunkelheit würde die auch nur verschlucken.
    Okay, ich habe es jetzt lange genug vor mir hergeschoben, und der Whiskeyrausch wird auch nicht ewig anhalten. Wenn ich euch von der ganzen Scheiße erzählen will, sollte ich wohl endlich ernst machen. Christy schläft nebenan, und Russ ist oben und packt. Inzwischen versuchen wir, einander möglichst aus dem Weg zu gehen, damit keiner von uns wütend wird. Wir können es nicht riskieren, aufeinander loszugehen, und die kleinste angebliche Beleidigung könnte genau das auslösen. Denn die Dunkelheit verstärkt unsere negativen Gefühle. Ihr kapiert jetzt vielleicht noch nicht, was das heißt, aber das werdet ihr noch.
    Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Sobald Christy wach wird, brechen wir auf.
    Hoffentlich können wir die äußere Dunkelheit noch ein kleines bisschen länger in Schach halten.
    Und die Dunkelheit in unserem Inneren ebenfalls.

DREI
    K ennt ihr diese Bücher und Filme für Teenager? Die, in denen eine Gruppe mutiger Jugendlicher während der Sommerferien alle möglichen Abenteuer erlebt und sich am Ende herausstellt, dass alles Geschehene ein wichtiger Wendepunkt in ihrem Leben war? Sie besiegen das Monster, den Schlägertypen, den bösen Mann, den brutalen Elternteil, eigenes Feindbild bitte hier einfügen, und danach sind sie aufgrund dieser Konfrontation für immer verändert, und wenn sie später als Erwachsene darauf zurückblicken, erkennen sie, wie diese Ereignisse sie geformt haben.
    Ja, ihr wisst, wovon ich spreche. Ich meine, wer hat denn bitte noch nie so einen Film gesehen oder eines dieser Bücher gelesen? Wir lieben solche Geschichten, weil wir uns alle damit identifizieren können. Wir waren alle mal Kinder und mussten uns alle unseren persönlichen Monstern stellen.
    Einen Haken haben diese Geschichten allerdings. In neunundneunzig Komma neun neun neun Prozent der Fälle spielen sie in einer kleinen Stadt und in einer Zeit, als alles noch einfacher war – normalerweise in den fünfziger oder sechziger Jahren. Als das Leben angeblich leichter und voller Unschuld war. Ich meine, das ist doch
typisch amerikanisch, oder? Fehlen nur noch etwas Baseball und Apfelkuchen. Diese Entwicklungsgeschichten sollen Amerika in seinem tiefsten Kern repräsentieren: all das, was an unserer Nation gut, anständig und moralisch richtig ist.
    Aber sie sind eigentlich nicht mehr ganz zutreffend, nicht wahr? In diesen Geschichten kennt jeder jeden in der kleinen Stadt. Die Leute sagen Hallo, wenn sie sich auf der Straße begegnen. Die Stadt verfügt über einen ausgeprägten Sinn für Geschichte – die Einwohner wissen, wer sie wann und warum gegründet hat und alles, was seitdem in der Stadt geschehen ist. Könnt ihr das von eurem Wohnort auch behaupten?
    Vor dieser ganzen Sache war es in Walden jedenfalls nicht so. Klar, wir entsprachen schon dem Stereotyp einer Kleinstadt, aber wir waren ebenso eine Stadt voller Fremder. Die Leute, die ich hier wirklich kannte, kann ich an beiden
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