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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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die Umrisse jenes Heroismus der Illusionslosigkeit wahrnahm, den ich später im »Rosenpark« kennenlernen sollte. Rückblickend bin ich ganz froh, dass mich keiner gefragt hat, denn es wäre mir sicherlich nicht leichtgefallen, dieses Gedankenungetüm schlüssig zu erklären.
    Als Nächstes befreite ich mich von den Äußerlichkeiten meiner beruflichen Vergangenheit. Der Bequemlichkeit fiel die Krawatte zum Opfer, wirtschaftlichen Überlegungen die Bügelfalte und zunehmender Unbeweglichkeit der Schnürschuh. Meine neue Garderobe wählte ich in bewusstem Gegensatz zu Eltern und Großeltern, die einen heiteren Formen- und Farbenreichtum gepflegt hatten. Für sie gab es keine Regeln. Alles ging. Das macht das Leben frei, unkompliziert und preiswert. Der wilden Vielfalt war stets ein Element von Widerborstigkeit eigen. Man konnte den Eindruck gewinnen, unsere Eltern holten in der Mode die antiautoritäre Bewegung nach, die sie einst versäumt hatten.
    Wir »Vierziger« indes tragen von oben nach unten: Poloshirts, Bundfaltenhosen aus Baumwolle, Slipper oder – in der sportlichen Spielart – Chucks. Wir verzichten auf Rot und Blau, Gelb und Grün und begnügen uns stattdessen mit Schwarz, Grau und Beige. Wer den Eindruck vermeiden möchte, auf Kindergeburtstagen als Clown ein Zubrot zu verdienen, sollte sich fügsam an diese Palette halten. Abstufungen sind erlaubt, Grenzüberschreitungen verboten.
    Im Gegensatz zu unseren Eltern beschränken wir uns streng auf wenige Elemente. Das ist zugegebenermaßen einfallslos und eintönig und widerspricht unserem Kollektivwunsch nach Individualität. Dahinter verbirgt sich jedoch eine gewisse Unsicherheit.Wir halten uns guten Geschmack zugute, was unseren Eltern selten in den Sinn gekommen wäre, und wer Farben scheut, braucht sich um deren Gleichklang keine Sorgen zu machen. Da Mode stets um Aufmerksamkeit bemüht ist, entspricht die unauffällige Bequemlichkeit zudem unserem sozialen Schicksal der zunehmenden Unsichtbarkeit. So ist die Altersuniform meiner Generation recht besehen eine kluge Mischung aus Geschmack, Wirtschaftlichkeit und der Unumgänglichkeit des ästhetischen Rückzugs aus dem öffentlichen Raum.
    Auch das Beinkleid meiner Generation muss entsorgt werden, denn für Jeans braucht es Steißfett in guter Form, und das vergeht mit der Zeit. Jeans ohne Hintern sind jedoch ein trostloser Anblick und unerbittliches Symbol der Vergänglichkeit – also weg damit!
    Und schließlich kam ich einem Geheimnis Berliner Gastfreundschaft auf die Spur. Bis zum letzten Tag meines Berufslebens hatte ich stets zahlreiche Einladungen von Landesvertretungen, Parteien, Redaktionen und Verbänden erhalten. Mit dem ersten Tag meiner neuen Existenz blieb mein Briefkasten jedoch bis auf Reklame, Werbebroschüren von Weinhändlern und die kostspielige Aufforderung, den Bundespresseball zu besuchen, leer. Es muss, folgerte ich, einen zentralen Computer geben, der mich pünktlich mit Rentenantritt aus dem bedeutsamen politischen Leben der Hauptstadt ausgeschlossen hat. Es war eine bittere Erfahrung, über Nacht zur sozialen Unperson zu werden, und ein empirischer Beweis für die bereits erwähnte Einsicht meiner Mutter: »Kehre nie zurück, du störst«, denn offensichtlich war mit dem Verlust des Berufs das Interesse an meiner Person allseitig erloschen.
    Bekannte, die keine in diesen Dingen erfahrene Mutter hatten und weiterhin Einlass begehrten, berichteten von nachhaltigen Enttäuschungen und peinlichen Absagen. »Stell dir vor, ich rufe den Studioleiter an, den ich seit Langem kenne, bitte um eine Einladung zum Sommerfest, und der sagt Nein! Mir ist fast der Hörer aus der Hand gefallen. Ich habe das zuerst für einen Scherz gehalten und insistiert, aber ohne jeden Erfolg.«
    »Und jetzt?«
    »Bleib ich zu Hause.«
    Zudem muss ich dringend Frieden mit meinesgleichen schließen. Ohne diesen Schulterschluss, von dem bereits die Rede war, wird mir das Alter nicht gelingen können. Ich habe zwar keine Probleme im Umgang mit Freunden und Bekannten meines Jahrgangs, aber ich fühle mich meiner Alterskohorte noch nicht zugehörig. Wenn deren Vertreter aus den Bussen klettern, um sich Berlin anzuschauen, sind sie mir fremd wie ein fernes Volk. Äußeres, Kleidung und Gesten sind von meinen nicht unterschieden, wie ein kurzer Blick in die nächste Schaufensterscheibe bezeugt. Wir sehen alle aus wie Reinhard May oder Eric Clapton. Trotzdem halte ich mit abschätzigem Blick Abstand. Es geht
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