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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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zusammengehört hatte und gut Freund gewesen war. Ein Mensch mit Körperfreund ist ein anderer als jener, dem der Körper zum Feind geworden ist. Es ist schmerzlicher Verlust im weitesten Sinn, wenn der alte Weggefährte sich auf die Seite des Verfalls schlägt, während der Geist noch im Vollbesitz seiner Kräfte ist.
    Das bewährte Mittel der Verdrängung hilft nicht mehr, denn der Leib ist von früh bis spät mit Schmerz, Leid und Verlust gegenwärtig. Im Unterschied zum klassischen Feind wird man ihm weder entkommen noch ihn erfolgreich um Gnade bitten können. Man wird zu zweit, auch wenn man äußerlich zusammenbleibt. Und darüber sollte nicht geredet werden? Darüber muss ständig geredet werden! Nur im Gespräch untereinander können wir Alten die schockierende Erfahrung der Feindschaft zwischen Leib und Bewusstsein verarbeiten und lernen, mit ihr umzugehen.
    Wer seinen Körper verliert, muss verzichten lernen und sich neu erfinden. Das ursprünglich raumgreifende Leben beschränkt sich, bis es eines Tages nur noch in den eigenen vier Wänden stattfindet. Der Theaterfreund wird sein Abonnement abgeben, der Fußballbegeisterte seine Dauerkarte vererben und der Naturfreund seine Wanderschuhe an den Nagel hängen. Das einst üppige Leben wird zur bloßen Existenz. Wer stolz und unabhängig und selbstständig war, wird bescheiden die Rolle des Hilfsbedürftigen und Unselbstständigen annehmen müssen.
    Im »Rosenpark« waren die Zumutungen des eigenen Körpers ständiger Gesprächsgegenstand. Ich habe allerdings nie jemanden klagen oder das oft unbarmherzige Schicksal verfluchen gehört. Von den Beschwerden, die unfassbar vielfältig sein können, wurde in einer Mischung aus Bestürzung, Respekt und Hilflosigkeit berichtet. Man suchte Anschluss und Ratschlag im Leiden. Wenn es anderen ähnlich ergeht, »bin ich nicht alleine«, hörte ich mehrfach. Das war kein Tratsch unter alten Menschen, denen die Themen abhandengekommen waren, sondern die Suche nach Trost unter Gezeichneten. Nie gab es mehr Gesprächsstoff. Der Leib und seine Machtergreifung sind die großen Themen aller alten Leute. Darüber können sie indes nur mit ihresgleichen reden, sich trösten und beistehen. Jedes Gespräch mit Unbeteiligten endet entweder in Mitleid oder gutem medizinischem Rat. Beides nett gemeint, aber unbrauchbar, denn es geht um Abschied und Verzicht, Selbstverständnis und Stolz.
    Zusätzlich zu der späten Karriere als Suchender habe ich dieses Buch geschrieben. Und damit wird es Zeit, ein Geständnis abzulegen: »Steps to Heaven« südlich von Orlando gibt es in dieser Form nicht. Es ist ein Kunstprodukt, entstanden aus den Erfahrungen in einigen amerikanischen Altenheimen. Ich habe, um die Darstellung zu vereinfachen und Sie nicht kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten zu lotsen, verschiedene Elemente, die ich während Dreharbeiten in den USA beobachtet habe, in einem fiktiven Heim zusammengeführt.
    Viele meiner Generation, die ohne Nachkommen geblieben sind, werden ihren Lebensabend in den unterschiedlichen Formen betreuten Wohnens verbringen. Alternativen wie Kommunen, altersübergreifende Wohnprojekte oder Genossenschaften werden seltene Ausnahme bleiben. Die Beispiele aus den Vereinigten Staaten zeigen, was noch alles getan werden muss, um betreutes Wohnen attraktiv und lebenswert zu machen.
    Sind mir die Reise ins Alter und der ungeplante Vorgriff auf meine Zukunft durch dieses Buch gut bekommen? Ich denke nicht. Während meine gleichaltrigen Bekannten sich gemütlich im Jetzt niedergelassen haben und an die ferne, oft leidgetränkte Zukunft vorläufig keine Gedanken verschwenden, habe ich mich notgedrungen detailliert mit ihr beschäftigt. Selbsterkenntnis im Alter besteht jedoch häufig aus schlechten Nachrichten. Ich weiß jetzt im Detail um die vielfältigen Formen des Verfalls und die damit verbundenen Leiden. Mir ist eindringlich die Endlichkeit meines Daseins vor Augen geführt worden. Ich bin mir bewusst, dass der Wunsch von Michel de Montaigne nur in seltenen Ausnahmefällen in Erfüllung geht: »Ich will, dass der Tod mich beim Kohlpflanzen antreffe – aber derart, dass ich mich weder über ihn noch über meinen unfertigen Garten gräme.« Ich mache mir keine Illusionen, die Sache könne einen glücklichen Ausgang nehmen, denn die Regel ist das lange Leid, und nichts spricht dafür, dass ich die Ausnahme sein werde.
    Ich wäre vorläufig auch mit einem Bruchteil der Einsichten ausgekommen. Nun ist es
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