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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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Regale in amerikanischen Buchläden sind gut gefüllt mit Veröffentlichungen zum Thema. Diese führen keine verschämte Existenz im hinteren Winkel einer Bücherei wie hierzulande, sondern gehören selbstverständlich zur Blickfangware im Eingangsbereich eines Ladens.
    Die Kampfschriften klagen weder an, noch machen sie moralische Vorhaltungen. Sie sind in der nüchternen, kalten Sprache einer kriegführenden Partei geschrieben. Die erste Lektion, die der Leser lernt, ist die der Verantwortung jedes Einzelnen für seine Gesundheit. Die Forderung nach staatlichen Hilfen und neuen Gesetzen, die sich bei uns großer Beliebtheit erfreut, wird man vergeblich suchen. »Wenn dein Supermarkt die Süßigkeiten auf dem Weg zur Kasse deponiert hat, ist das sein gutes Recht. Wie es ebenso dein Recht ist, daran vorbeizugehen. Ob das deine Pflicht wird, wirst du selbst entscheiden müssen«, heißt es an einer Stelle. Es gibt nur einen Besitzer eines Körpers, und das »bist du selbst, deswegen liegt sein Schicksal ausschließlich in deiner Hand«.
    Nüchtern wird der Leser über seinen Körper und die Konsequenzen unterschiedlicher Lebensstile aufgeklärt, denn solide Kenntnisse über Organe, Knochen, Muskeln, Nerven und Sehnen sind Voraussetzung, um sich erfolgreich gegen das Altern zu wehren.
    Als Nächstes wird die Hoffnung zerstört, eine Handvoll Tabletten könnte die Probleme des Alterns lösen. Stattdessen fordern die Autoren Ausdauer und harte Arbeit bis zur Selbstverleugnung ein.
    Schließlich wird das weitverbreitete Vorurteil entsorgt, Alter und Verfall seien die Kehrseiten derselben Medaille. Wer so denkt, gibt sich bereits verloren. Die Vorstellung, alte Menschen würden automatisch hinfällig, sei »ein Mythos«, schlicht falsch und sollte uns nicht weiter beschäftigen. Die Natur hat sich nicht vorgenommen, uns alt werden zu lassen, sondern verliert ihr Interesse an uns, nachdem wir das Geschäft der Fortpflanzung erledigt haben oder zu alt geworden sind, ihm weiter nachzugehen. Es hält uns indes niemand davon ab, die Natur zu ersetzen, nachdem sie sich von uns abgewandt hat. Wissenschaft, Erfahrung und technische Entwicklung geben uns dazu in der Zwischenzeit zahlreiche Instrumente an die Hand.
    Etliche meiner Generation, mich eingeschlossen, sind Vielgiftler: Wir trinken, rauchen, essen gern und ziehen häufig die Ruhe der Bewegung vor. Das vergiftete Leben ist zwar ein gefährliches, aber auch ein genussvolles. Die Liste ist endlos, und jeder einzelne Punkt war eine Insel des Wohlbehagens. Wir werden jedoch auf die weinseligen Abende vor dem Fernseher, Zigaretten zu jeder Gelegenheit, auf ausgedehnte Mahlzeiten und die späten Soireen vor dem Eisschrank bei Wurst und Käse verzichten müssen. Es ist nicht die Vertreibung aus dem Paradies, aber der ersatzlose Verlust paradiesischer Winkel.
    Oft erkennt man Bekannte kaum wieder, nachdem sie sich für einige Zeit den strengen Regeln der Gesundheitsvernunft unterworfen hatten. Aus strammen Backen und verstecktem Blick hinter vertrauenswürdigen Wülsten sind schmale, faltige Gesichter geworden, aus denen große Augen mit einer Spur von Angst und Hoffnungslosigkeit blicken. Denn wer entschlossen gegen das Alter ankämpft, erfährt nebenbei ausführlich, welche Gefahren ihm drohen. Ganz zu schweigen von den Jeans, die wie leere Kornsäcke von den schmalen Hüften hängen.
    Ihre Träger verkörpern das letzte große Projekt der Moderne: die Überwindung der Vergänglichkeit. »Im Vergleich mit den durchschnittlichen Lebenserwartungen der Vergangenheit nähern wir uns in großen Schritten der Unsterblichkeit der menschlichen Rasse«, versprechen die Vertreter der Anti-Aging-Revolution.
    Dieses Projekt geht jedoch weit über die Forderung nach einem verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper zur zukünftigen Entlastung der Sozialkassen hinaus. So nützlich und bedenkenswert die einzelnen Vorschläge sind, um das Alter erträglicher zu machen – in dieser Form entsteht ein neuer, grenzenloser Wirtschaftszweig, der allerdings keine Wertschöpfung im klassischen Sinn zum Ziel hat, sondern alte Leute produziert. Da ein langes und beschwerdefreies Leben zu den Grundrechten in den industrialisierten Ländern gehört, verbietet sich jedes Nachdenken über die Motive des neuen Industriezweigs und die Konsequenzen dieser Entwicklung.
    Wir sind dabei, die ergebene, wenn auch wehmütige Ehrfurcht vor der Vergänglichkeit zu verspielen und sie den Zumutungen des
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