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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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versagt zu haben. Zudem war der Vorschuss schnell durchgebracht, und schließlich mögen großspurige Ankündigungen im Freundeskreis, nachdem der Autorenvertrag unterschrieben war, eine gewichtige Rolle gespielt haben.

Der schöne Schein des Alterns
    » Jahre sind nur Kleider. Entweder du trägst sie dein Leben lang mit Stil, oder du gehst eben als Schlampe ins Grab.«
    DOROTHY PARKER
    Vor nicht allzu langer Zeit bat mich ein gleichaltriger Freund, eine kurze Rede zum achtzehnten Geburtstag seiner spätgeborenen Tochter zu halten. Diese ist eine aufgeweckte junge Dame, die aus ehrlicher Überzeugung Müll trennt, bereits mehrere Paar schwarzer Chucks bei Aktionen von Attac ruiniert hat und ihren Eltern schon früh auf die Nerven ging, weil sie ständig in der Wohnung selbstverfasste Hinweisschilder mit Merksätzen wie »Äpfel aus Neuseeland kosten Energie«, »Plaste verschwendet Erdöl« oder »Der kleine grüne Punkt leuchtet nicht für lau« anbrachte.
    »Auf der einen Seite hat sie ja recht«, stöhnte der Vater, als er mich anrief, »auf der anderen Seite – uns braucht sie wirklich nicht zu überzeugen!« Anscheinend doch, denn die Hinweise klangen sehr konkret.
    Was sie von meiner Rede erwarte, wollte ich von der jungen Dame wissen, bevor ich begann, mir Gedanken zu machen.
    »Erzähl doch von der Erbschaft, die deine Generation uns hinterlässt«, forderte sie mich freundlich, mit zweideutigem Unterton auf.
    Ich muss irritiert geschaut haben.
    Na, das sei doch ein Thema, das mir liegen müsste, denn schließlich sei ich auch so ein Erbonkel, auf dessen Hinterlassenschaft sie gerne verzichten würde.
    Ich war immer noch irritiert.
    »Klimakatastrophe«, half sie mir nachsichtig auf die Sprünge, »Staatsverschuldung«, fuhr sie fort, »Atommüll – das sind doch ergiebige Themen!«
    Ich habe die Rede nicht gehalten und plötzlich Sympathie für den Vater empfunden.
    Einige Tage später erzählte ich meiner etwa gleichaltrigen Tochter von dem Zwischenfall, in der vagen Hoffnung, dass sie mir beistehen würde.
    »Sie hat ganz recht! Ihr solltet euch schämen für dieses Vermächtnis nach wer weiß wie viel Jahren Wachstum und Frieden. Aber Scham ist euch wahrscheinlich fremd.«
    Da hatte sie nicht ganz unrecht. Das Schamgefühl war uns damals bei unserer kleinen Revolte tatsächlich in Teilen verloren gegangen.
    »Ihr werdet nacharbeiten müssen, um die Schäden, die ihr verursacht habt und uns hinterlassen wollt, zu beheben«, fuhr sie unerbittlich fort.
    Ob wir denn ihrer Meinung nach weiterhin in Lohn und Brot bleiben und die knappen Arbeitsplätze besetzen sollten, verteidigte ich mein geruhsames Rentnerleben.
    »Nein! Verschwindet und verschont uns mit eurem Kram. Kümmert euch um euch selbst. Zählt nicht auf uns. Tut was, anstatt in der Weltgeschichte umherzufahren. Rüstig genug seid ihr ja.«
    Was ist das für eine Truppe, die bei jungen Leuten offensichtlich einen denkbar schlechten Ruf genießt, mit der ich zurzeit gemeinsam und massenhaft ins Alter marschiere?
    Die Basisdaten sind schnell aufgezählt. Geboren wurden ihre Vertreter, so wie ich, in den vierziger und Anfang der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Zeit unseres Lebens kannten wir nur Frieden und Wohlstand. Im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter haben einige von uns eine kleine Revolte angezettelt, auf die wir heute noch stolz sind und von der wir gerne erzählen. Diese Berichte aus fernen Zeiten und von bemerkenswerten Heldentaten haben nebenbei den unerwarteten und willkommenen Effekt, dass unserem Nachwuchs die Lust an ähnlichen Unternehmungen vergangen ist und dass er im Allgemeinen klaglos akzeptiert, was wir ihm zumuten. Das Arbeitsleben haben wir vergleichsweise geruhsam verbracht, denn es gab Stellen für alle, und die niedrigen Dienste verrichteten Gastarbeiter. Eine gründliche Sozialgesetzgebung zu unseren Gunsten schenkt den meisten von uns nun einen sorgenfreien Lebensabend.
    Die bedeutsamsten Unterschiede zwischen meiner Generation und der unserer Vorfahren sind die niedrige Geburtenrate, die steigende Lebensdauer und die geschenkte Dekade, jene fünfzehn Jahre zwischen sechzig und fünfundsiebzig, die uns als zusätzliche aktive Lebenszeit fast garantiert sind. In dieser Lebensspanne sind wir in der Regel belastbar, klar im Kopf und voller Energie.
    Alte, leistungsfähige Menschen hat es in seltener Ausnahme auch in der Vergangenheit gegeben. Jetzt aber geht eine ganze Generation wohlerhalten und
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