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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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müssen wir mit folgenden Entwicklungen rechnen: Jedes zweite Mädchen, das im neuen Jahrtausend geboren wurde, wird hundert Jahre alt werden. Ein Fünfundsechzigjähriger darf heute damit rechnen, siebzehn weitere Jahre zu leben, eine fünfundsechzigjährige Frau gar zwanzig Jahre.
    Im Jahr 1990 waren fünfzehn Prozent der deutschen Bevölkerung über fünfundsechzig Jahre alt. 2030 werden es sechsundzwanzig Prozent sein.
    Die Altersgesellschaft der Zukunft wird demzufolge zu zwei Dritteln eine Frauengesellschaft sein, im hohen Alter sogar zu drei Vierteln.
    Die wichtigste Erkenntnis, die sich aus den verschiedenen Berechnungen ergibt, ist jedoch folgende: Bis zum Jahr 2030 werden sich die Ausgaben für die Sozialsysteme und das Gesundheitswesen, vorsichtig geschätzt, verdreifacht haben.
    Wir »Vierziger« sind ein einzigartiges biologisches, soziales und kulturelles Experiment eingegangen. Ein Experiment, das jedoch nicht unter kontrollierten Randbedingen mit beherrschbaren Resultaten abläuft, sondern es hat unter der Hand eine Naturwüchsigkeit entwickelt, deren Dynamik unserem Einfluss längst entglitten ist.
    Uns hat es in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben. Wir sind keine Minderheit wie die Punks am Alex, sondern eine stattliche soziale Erscheinung von einigem Gewicht. Wir sind neu hier und »auf Probe« – mit ungewissem Ausgang. Wir haben zwar keine Kriege geführt, stattdessen aber Lebenszeit erobert, die nun abgelebt sein will. Das Alter war bis in das 19. Jahrhundert hinein die seltene Ausnahme. Welche Konsequenzen das verlängerte, zudem anspruchvolle Dasein für unsere Nachkommen, die Umwelt, die Sozialsysteme und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben wird, ist noch nicht bedacht. Ob die Natur für unsere langen Lebenszeiten genügend Raum und Ressourcen vorgesehen hat, wissen wir nicht. Langfristige Planung und Vorbereitung auf eine Zeit, in der sich das Alter wie eine schwere, dunkle Last über die Gesellschaft legen wird, sind kaum erkennbar.
    Wir verlängern die Gegenwart sorglos in die Zukunft, obgleich wir bis in die Einzelheiten wissen, dass die Bedingungen radikal andere sein werden. Auf allen wesentlichen Gebieten, Energie, Bodenschätze, Siedlungsraum, Nahrungsproduktion und Bevölkerungsentwicklung, werden Grenzen erkennbar, gleichwohl versuchen wir unverdrossen, das Alter auszuweiten. Wir schaffen damit, ohne auf die Folgen zu achten, neue Lebensabschnitte, die ohne Gegenleistung unsere begrenzten Ressourcen aufzuzehren drohen. Noch ist nicht entschieden, ob wir uns und den nachfolgenden Generationen damit neue Perspektiven des Alterns eröffnen oder ob diese Entwicklung ein Irrweg gewesen sein wird. Und wenn es einer gewesen sein sollte, weiß niemand, wie wir wieder zurückfinden werden und wer die Kosten zu tragen hat.
    Die neue Situation hat sich unvorhergesehen und mit großer Geschwindigkeit entwickelt, wie man an einer ehrwürdigen, englischen Tradition ablesen kann: Die Queen schickt jedem ihrer Untertanen, der seinen hundertsten Geburtstag feiert, ein persönliches Telegramm. 1952, im ersten Jahr ihrer Amtszeit, lag die Zahl der Jubilare bei 255, heute sind es deutlich über fünftausend geworden.
    Seit absehbar ist, dass meine Generation im Rentenalter ein neuer sozialer Tatbestand ist, sucht man nach einem passenden Namen für dieses Phänomen. Zur Auswahl stehen bislang folgende Wortschöpfungen, von denen sich jedoch noch keine durchgesetzt hat: »Dritte Lebensphase«, »Goldies«, »Best Agers«, »drittes Erwachsenenalter«, »Woopies« (Well off older people), »Generation plus«, »Silver Agers« (und davon abgeleitet der Begriff »Silver Sex«), »Golden Age«, »Grampies« (grown active moneyed people in excellent state), »Unruheständler« und schließlich »Voralter«.
    Einst war die Sache einfach. Wer in Rente ging war alt. Wegen der aktiven anderthalb Jahrzehnte, mit denen die »Vierziger« durchschnittlich rechnen dürfen, und der ständig wachsenden Lebensdauer muss die Zeit ab Beginn der Rente jedoch unterteilt werden. Den »jungen Alten« (zwischen 60 und 75 Jahren) folgen demnach die »alten Alten« (75–85) und die »Hochbetagten«(85–94), denen sich dann die »Überlebenden« (95 und älter) anschließen.
    Die Amerikaner mit ihrem Sinn für prägnante, witzige Formulierungen, die zudem niemanden verletzen, sprechen von »reifen Personen«, die sie in »Go-gos«, »Slow-gos« und »No-gos« unterteilen.
    Unsere kommoden Lebensumstände
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