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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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sexueller Energie, die sich anscheinend in ständigem Aufstand gegen ihre Väter und deren Vorbilder befanden. Sie rebellierten nicht gegen Armut oder soziale Missstände, sondern gegen Autorität, Überzeugungen und Sitten der Vorfahren. Ihr Kampf war kein politischer Kampf um bessere Lebensbedingungen, sondern eine Kulturrevolution. »Gegen was rebellierst du?«, fragt eine jungeFrau Marlon Brando in dem Film Der Wilde . »Was schlägst du vor?«, antwortet er einsilbig und gleichgültig.
    »Marlon«, schrieb Truman Capote in einem langen Porträt, »war immer unzufrieden mit dem, was er gerade tat. Das folgte keiner erkennbaren Ursache. Die Unzufriedenheit schien ihm zu gefallen. Sie war ein Grundzug seines Wesens.« Er lebte völlig ungeniert seinen Narzissmus aus, der wohlerzogenen Amerikanern zwar nicht unbekannt war, den sie aber stets unterdrückt hatten. Marlon Brando führte die Respektlosigkeit in den bis dahin ereignislosen amerikanischen Alltag ein.
    James Dean, dessen kurze Karriere durch einen tödlichen Autounfall beendet wurde, lebte schnell und starb früh, im Gegensatz zu den sorgfältig geplanten Lebensentwürfen amerikanischer Collegestudenten seiner Generation. Er strahlte tiefe Verletzlichkeit aus, gewiss keine hilfreiche Charaktereigenschaft für die Highschool-Wahlen zum beliebtesten Schüler eines Jahrgangs.
    Nicholas Ray, der Regisseur des Films mit dem sinnlosen deutschen Titel … denn sie wissen nicht, was sie tun , durch den James Dean über Nacht berühmt wurde, erzählte später: »Er hasste seinen Vater, war rachsüchtig und hatte eine unwiderstehliche Aura von Einsamkeit um sich.«
    In dem Film treten Eltern als gefühllose Idioten auf, unfähig, ihre Kinder zu verstehen und ihnen zu helfen. Sie sind die natürlichen Feinde einer Jugend, die empfindsam, verletzlich und voll echter Gefühle ist. Gegen diesen bedrohlichen, herzlosen Gegner wurde Rebellion zum unvermeidbaren Überlebenskampf. Brando und Dean lebten ziellos und ungebunden und waren erkennbar nicht auf dem Weg zu geordneten Verhältnissen und einem glücklichen Familienleben in einer der endlosen amerikanischen Vorstädte, die sich seit Kriegsende vor den Toren der Städte ausgebreitet hatten.
    Es dauerte nicht lange, und die in die Bundesrepublik importierte Rebellion begann in den Köpfen der damals noch jungen »Vierziger« ihr Werk und infizierte alle Lebensbereiche. Mode, Musik, Tänze, Sprachmuster, Körperhaltung und Selbstverständnis tanzten über Nacht nach den neuen Melodien. Eine unerhörte Lässigkeit hielt Einzug im Land. Wer seine Umwelt mit rundem Kreuz, skeptischem Blick und beide Daumen im Hosenbund eingehakt betrachtete, war für preußische Tugenden nicht mehr zu haben. Wer seine Braut nicht länger sorgfältig nach den Schrittvorgaben mitteleuropäischer Standardtänze führte, sondern diese akrobatisch über den eigenen Rücken kreisen ließ, so dass die Röcke durch die Gegend flogen wie Palmwedel im Hurrikan, der hatte ein Gefühl der Freiheit und Grenzenlosigkeit erfahren, das ihn für immer von den Eltern unterscheiden würde.
    In unserer Pubertät und den Jahren danach waren wir alle Amerikaner gewesen, abgesehen von einigen Sonderlingen, die enge Rollkragenpullover unter einer gramerfüllten Miene trugen und vom Rive Gauche träumten. In den Vereinigten Staaten gab es von allem nur das Beste – die besten Filme, Gangster, Cowboys, Strände, Frauen, Schauspieler, Sänger, Wolkenkratzer, Boxer und Sportler, das beste Essen, die heißeste Musik und natürlich traumhafte Autos. Kein Vergleich zu den deutschen Nachkriegsmodellen in ihren trüben Farben, sondern Skulpturen in Ultramarin, Creme und Pink und Chromflächen von der Größe des Fürstentums Liechtenstein. So ging Leben.
    Damals wurde aus denjenigen, die bisher nur das Jahrzehnt ihrer Geburt gemeinsam hatten, eine Alterskohorte mit gemeinsamer Gegenwart, die heute zur kollektiven Vergangenheit geworden ist. Später differenzierten sich die Lebensläufe zwar wieder aus, und der Schulterschluss jener Jahre lockerte sich über die Zeit. Aber es blieben zahlreiche Berührungspunkte, die nun, im Alter, wenn die Berufskarrieren beendet sind, wieder an Bedeutsamkeit gewinnen.
    Jede Generation hat ihr eigenes großes gesellschaftliches Thema, das die Grundmelodie ihres Zeitalters bildet und dem sich unzählige Einzelentscheidungen unterordnen. Unsere Großeltern und deren Eltern hatten, wenn auch vergeblich, in zwei Kriegen versucht, das neue
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