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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman
Autoren: Sven Kuntze
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allerlei dunkler Kräfte zu sein.
    Mae Wests düsterer Satz über die Zumutungen des Alterns appelliert an unseren Stolz: Wer ist schon gerne feige! Einer Situation, die unausweichlich ist, kann man zwar nicht entkommen, aber sie wird erträglicher, wenn man sich ihr bewusst stellt und jene kleinen Chancen wahrnimmt, die jede Situation bereithält. Altwerden ist zu schaffen, wenn wir zu Helden werden. Freilich handelt es sich dabei nicht um offizielles Heldentum, über das Medien berichten und das im Ausnahmefall bis in die Repräsentationsräume der höchsten Staatsinstanz führen kann, sondern um ein stilles, unauffälliges Heldentum, das im Alter auf Dauer gestellt werden muss.
    Klassisches Heldentum spielt sich sichtbar in der Öffentlichkeit ab und gehört zum Unterfutter nationalen Selbstbewusstseins. Unsere Helden hingegen, die Alten, bleiben bescheiden und halten sich verborgen. Gelegentlich erahnen die nächsten Angehörigen oder Freunde den langen, einsamen Kampf, den viele alte Menschen kämpfen und an dessen Ende jeder alles verliert.
    Zu den ergreifenden Erfahrungen gehörten für mich deshalb jene Augenblicke, in denen sich der Vorhang ihrer Selbstdisziplin öffnete und einen kurzen Einblick in die Seelenlage erlaubte, die sie in der Regel vor fremden Augen sorgfältig versteckt hielten.
    »Ich kann nicht mehr schlafen und wache jeden Tag vor Morgengrauen auf«, erzählte mir meine Nachbarin im »Rosenpark«. »Das ist zwar lästig, aber das Schlimmste sind die Gedanken, die in den langen Stunden bis Sonnenaufgang über mich kommen.«
    Was das für Gedanken seien, wollte ich wissen.
    »Ach lassen Sie, das verstehen Sie nicht. Dafür sind Sie noch zu jung.«
    Der Vorhang hatte sich wieder geschlossen.
    »Das Alter gehört abgeschafft«, vertraute mit der alte Herr Rautenberg in einem Moment der Unachtsamkeit an.
    Wie das gehen solle, wo doch jeder alt werden wolle?
    »Das muss jeder für sich entscheiden. Ich für meine Person denke oft darüber nach.« Er schaute mich erschrocken an und starrte dann schweigend auf die verdorrten Blumen vor seinem Fenster.
    In Bemerkungen solcher Art kommt kurz jene innere Agonie zum Ausdruck, die meinen neuen Bekannten im »Rosenpark« zur ständigen Begleitung geworden war, und man ahnt, welches Maß an Disziplin und Heroismus sie fortwährend aufbringen mussten, um der Umwelt ihre Ängste und Albträume vorzuenthalten. Trotz der frivolen Geschwätzigkeit dieser Tage gibt es mitten unter uns ein unermessliches Terrain von Kümmernissen, Befürchtungen und körperlichem Schmerz, zu dem uns der Zutritt verwehrt bleibt. Wir suchen ihn auch nicht.
    Wer die Einsicht von Mae West mit kecker Geste zum Titel seines Buches macht, läuft Gefahr, einen unwirtlichen Pfad zwischen Demut, stillem Leid und tapferer Gegenwehr zu beschreiten. Die Autorin, vermutlich erschrocken über diese Abgründe, ergänzt ihre kesse Titelwahl deswegen mit einem Untertitel: »Jung, schön und gesund bleiben – alles, was man wissen muss«, und versucht auf diesem Weg, die dunkle und gefahrvolle Vieldeutigkeit ihres Haupttitels zu tilgen. Das Buch befindet sich damit in guter Gesellschaft der Mehrzahl der Veröffentlichungen zum Thema. Aber selbst wenn weitere hundert Bücher mit derselben Tendenz erscheinen, und das steht zu befürchten – man bleibt weder jung noch schön und selten gesund. Ein einziger Satz von Woody Allen räumt dieses Beschwichtigungsgerümpel unnachsichtig zur Seite: »Alt werden ist eine lausige Idee. Du wirst nicht klüger, schöner, freundlicher. Dein Rücken tut weh, du brauchst ein Hörgerät. Es ist wie im Film. Es ist einfach besser, jung zu sein und das Mädchen zu kriegen.«
    Die Verdrängung hat in diesen Werken selbstredend keinen guten Ruf. Würden sie deren gewichtige Präsenz dulden, dann müssten sie eingestehen, dass sich hinter dem Tand ihrer Altersdekorationen ein dunkles, bedrohliches Geheimnis verbirgt.
    Nachdem meine Generation mit Hilfe Sigmund Freuds die Verdrängung entdeckt hatte, wurde sie zur ständigen Begleiterin durch unseren Beziehungsalltag. Jedoch nicht mehr in jener besänftigenden Funktion, die ihr einst eigen gewesen war, sondern als Kampfbegriff und Werkzeug der Kritik bei persönlichen Auseinandersetzungen, die es trotz neuer Empfindsamkeit auch in unseren Beziehungen reichlich gab. Der Vorwurf der Verdrängung wurde damals zu einer beachtlichen Allzweckwaffe, dennmit ihr verband sich zwangsläufig der Verdacht auf Manipulation,
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