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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie
Autoren: Elias Khoury
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zu, erstickte sie. »Ich sterbe«, wollte sie sagen, konnte aber nicht. Das war der Tod. Man stirbt, wenn man nicht sagen kann, dass man stirbt. Nein, ich will nicht sterben. Wer kümmert sich dann um meinen Sohn? Vielleicht bringen sie ihn nach Jaffa. Milia wollte die Augen öffnen, wollte in ihr Bett zurück. Sie könne die Augen öffnen, wann immer sie wolle, sagte sie zu dem libanesischen Mönch. Dann wäre er aus ihrer Welt ausgeschlossen, weil sie allein in ihrem Bett liegen würde.
    Ihre Augen öffneten sich. Licht drang in sie ein. Sie lag in einem Bett, das nicht das ihre war. Aufgebahrt auf einem Holzstoß. Es roch nach Blut. Sie legte die Hand auf den Unterleib, fühlte geronnenes Blut und Wasser. Die Ehe, dachte sie und schloss die Augen wieder.
    Sie sah ihn und begriff. Die gelbe Sonne, die ihr in die Augen schien, sodass sie unwillkürlich die Lider senkte, stammte von dem Lichtkranz um seinen Kopf. Deshalb nannte man ihn die Sonne der Gerechtigkeit. Sonne und Gerechtigkeit gingen gemeinsam in den Tod. Allein, auf dem Weg nach Golgatha, erinnerte sich Jesus an seinen Vater. Erinnerte sich, wie die Angst vor der Geschichte ihn regelrecht aufgefressen hatte, bevor er erkannte, dass die wahre Geschichte die war, in der das Schaf, von der Sonne her kommend, den Sohn vor dem Tod rettete. Peitschenhiebe gingen auf ihn nieder, trafen ihn überall. Dennoch setzte er seinen Gang mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen fort. Er sah sein Gesicht, gespiegelt in den Augen seiner Marien, und spürte einen Schmerz. Den Schmerz des Rauschs. Schritt um Schritt ging er vorwärts, während das Schaf um ihn herumstrich. Das Schaf sah niemand. Nur die Mutter sah es. Sobald sie sich dem Tier aber näherte und die Hand ausstreckte, um seinen Kopf zu berühren, merkte sie, dass sie ins Leere griff. Sie schaute ihren Sohn an, um sich zu vergewissern, dass das, was sie sah, kein Trugbild war. Da wandte er den Blick von ihr ab und sagte: »Geh Frau. Meine Stunde ist noch nicht gekommen!«
    Blut auf den Straßen. Die Stadt gekleidet in Blut, mit Ruinen behängt. Wo war der Orangenduft hin, der die weißen Strände überzogen hatte?
    Ein einziges Mal hatte sie mit Mansûr Jaffa besucht.
    »Komm nur ein Mal mit und schau dir die Stadt an«, sagte er.
    »Ich war dort und habe alles gesehen. Also erübrigt sich jeder weitere Besuch.«
    »Wir sind wegen Amîns Beerdigung hingefahren. Und bei Beerdigungen bekommt man von einem Ort nicht viel mit.«
    »Ich hasse diese Stadt«, entschied Milia.
    »Jaffa ist die Braut des Mittelmeers. Jaffa, das heißt, Pferdekutschen, Meer, weiße Strände, Prophet Rubin und Da’da’. Im Muallim-Da’da’-Restaurant am Jugendstrand in Dschbaila gibt es das köstlichste Grillfleisch und den besten Hummus 13 überhaupt. Ich werde dir die Hasan-Bek-Moschee, den Roten Hügel und das Raschîd-Viertel zeigen. Außerdem werde ich dich zu einem deftigen Fûl-Essen 14 ins Fathallah-Restaurant ausführen.«
    Mansûr redete und redete. Milia lauschte.
    Sie hätte gern etwas gesagt. Gesagt, dass sie einverstanden sei, mit ihm aus Nazareth fortzugehen. Dass sie aber nicht nach Jaffa ziehen werde, sondern nach Bethlehem.
    »Ich weiß«, sagte sie unvermittelt. »Sie wollen dich mir wegnehmen, und dann nehmen sie mir meinen Sohn weg. Keine Ahnung, was noch alles passieren wird. Ich rieche Krieg und Tod. Gestern habe ich geträumt…«
    »Verschone mich bitte mit deinen Träumen.«
    Sie solle ihn mit ihren Träumen verschonen, fuhr er sie an, um jede Widerrede im Keim zu ersticken und sie zum Umzug zu zwingen. Was war mit ihm geschehen?
    Milia hätte sich gern erklärt. Erklärt, dass der Tod kein Problem war, weil Tote schliefen und träumten. Erklärt, dass des Toten Träume nicht enden würden. Doch er verstand sie nicht mehr. Hatte er sie überhaupt jemals verstanden? Oder war es ihm immer nur darum gegangen, mit ihr im Bett zu »schwimmen«, wie er es nannte? Das Wort »schwimmen« hatte er in einer Situation benutzt, in der er Gedichte von Imru’u-l-Qais rezitierte.
    »Der Verlorene König«, erläuterte Mansûr, »hat mit einer Frau geschlafen, als sie gerade ihr Kind stillte. Ich werde es machen wie der Dichter. Das war sicher großartig.«
    Milia schwieg.
    »Wenn ich mit dir schlafe«, fuhr er fort, »habe ich das Gefühl zu schwimmen.«
    In Jaffa hatte Milia jene Düfte eingeatmet, die alle Menschen liebten. Den Duft von Orangen und den betörenden Duft von Pomeranzenblüten. Auch Milia mochte
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