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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie
Autoren: Elias Khoury
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Kreuzes, das er tragen musste. Er hatte Angst. Nein, er hatte keine Angst. Er war überrascht. Es war, als habe die Kraft, die in ihm steckte, ihn verlassen. Er fühlte sich schwach, erschöpft.
    Er hatte vierzig Tage gefastet. Doch als er seine Jünger zum Abendmahl rief und ihnen den besten Wein Palästinas ausschenkte, aß er nur ein Stück Brot. Voller Sehnsucht nach seinem Vater, spürte er kein Verlangen mehr nach Speise.
    In Schwäche und Erschöpfung, ausgepeitscht und gedemütigt, dachte er an das Schaf und lächelte.
    »Warum ist es hier so grell? Schaltet das Licht aus, bitte!«
    Schmerzen in den Augen. Leiden. Was macht Habîsa hier? Warum ist die Uhr stehen geblieben? Auf dem Kissen weiße Haarbüschel. Die alte Frau versucht den Kopf zu heben, schafft es nicht. Die kleine Milia steht neben ihrer Großmutter. Die Großmutter sagt, alle Uhren im Haus seien stehen geblieben. Sie versucht die Hand vom Kissen zu heben. Kaum angehoben, fällt die Hand. Milia neben ihr weiß nicht, was sie tun soll.
    Das Mädchen rennt im Haus umher. Das Haus ist wie zu einem Kreis geworden. Runde um Runde dreht das Mädchen. Alle Uhren im Haus sind um drei Uhr morgens stehen geblieben.
    »Zieh die Uhr auf, Mûsa, mein Lieber.«
    Mûsa stürzt herein, die Kleider voll Schlamm, das Knie blutig aufgeschlagen.
    »Warum das Blut, mein Lieber? Ich habe dir doch gesagt, dass Blut im Traum nichts Gutes bedeutet. Warum erscheinst du mir blutverschmiert im Traum? Ich habe mich von Nazareth nach Beirut aufgemacht. Trotz der Umstände, in denen ich mich befinde, bin ich aufgebrochen. Ich habe zu meinem Sohn gesagt, dass er in meinem Bauch warten soll. Das geht schon, habe ich gesagt. Es sind ja nur ein paar Stunden. Ich muss nach Beirut reisen. Onkel Mûsa hat einen bösen Traum. Ich muss zu ihm. Nun bin ich bei dir. Und du? Du erscheinst blutverschmiert. Genug mit dem Blut. ›Schütze uns vor Blut, o Gott!‹ So hat die Nonne immer gebetet. Wir sollten uns vor die Ikone Marias mit dem Kind auf dem Arm stellen. Dann rief sie: ›Schütze uns vor Blut, o Gott. O Herr, mein Heiland! Möge mein Mund deine Gerechtigkeit preisen!‹ Sie befahl uns, das nachzusprechen. Also haben wir ihr nachgesprochen. Wo ist Hadscha Mîlâna? Warum sitzt sie allein da? Warum spricht keiner mit ihr? Sie sehe alles schwarz, sagt sie, und in dem Schwarz befinde sich Weihrauch. Sie sehe die Körper der Menschen nicht mehr, sagt sie. Sie lebe mit ihren Seelen. Warum ist die Nonne allein? Warum liegt sie nur noch im Bett? Warum steht sie nicht mehr auf? Was ist das für ein Geruch? Wir können die Heilige doch nicht einfach sich selber überlassen. Keiner kümmert sich um sie. Keiner wäscht sie. Wo bist du, Saada? Mutter, wo bist du?
    Saada steht neben einem Eisenbett in einem dunklen Zimmer. Sie schaltet das Licht an. Die Heilige befiehlt ihr, das Licht auszuschalten. »Das Licht tut mir in den Augen weh und blendet mich.« Saada schaltet das Licht nicht aus. Sie sei in das abgelegene Kloster gekommen, um die Nonne zu baden, sagt sie. Und das könne sie nicht ohne Licht. Heiß dampft es aus einem Kupferkessel voll Wasser. Die Nonne wehrt sich. Sie will nicht gebadet werden, schreit sie. »Du bist doch hier, um mich zu töten, so wie du auch deine Tochter getötet hast. Verschwinde! Mach das Licht aus und verschwinde!«, brüllt Mîlâna.
    »Aber, Hadscha, ich bin gekommen, um dich zu baden. Warum lassen sie dich so liegen? Warum bewirkst du kein Wunder? Mach, dass du wieder aufstehen kannst! Was ist das für ein Gestank? Los, komm, ich zieh dir die Sachen aus. Ich werde dich waschen und dich mit Kölnisch Wasser einreiben. Dann duftest du wieder frisch und angenehm.«
    Saada geht auf die Nonne zu, will ihr helfen, die Kleider auszuziehen. Die Nonne bedeckt die Augen mit den Händen und fängt an zu winseln. Sie setzt sich im Bett auf. »Ich rieche den Teufel!«, schreit sie. »Dich schickt der Teufel, Saada! Kaum bist du hier aufgetaucht, ist der Weihrauchduft verflogen! Wie kommt das? Wo ist der Weihrauch? Weihrauch meidet das Licht. Du hast das Licht angeschaltet. Was willst du von mir? Ich weiß, du bist gekommen, um mich zu töten. Du hast deine Tochter getötet. Ich habe sie gesehen. Das arme Ding. Ihr Körper war plötzlich ganz grün. Als sei er von Gras überwachsen. Allheiliger! Allheiliger! Allheiliger! Sie hat geschlafen und geträumt. Der Arzt hat sie angeschrien. Sie soll die Augen aufmachen, brüllte er. Sie versuchte sie zu öffnen, aber das
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