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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie
Autoren: Elias Khoury
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diese samtenen Aromen. In Jaffa aber roch sie Blut.
    »Jaffa erinnert mich an Tripoli im Nordlibanon«, sagte sie.
    »Jaffa ist die Schwester des levantinischen Tripoli«, erwiderte Mansûr.
    »In Tripoli war ich ein einziges Mal, zusammen mit meinem Bruder Salîm«, erzählte Milia. »Ich war damals sieben Jahre alt und kann mich kaum mehr an etwas erinnern. Nur noch an den Duft der Pomeranzenblüten erinnere ich mich. Jaffa kommt mir vor wie Tripoli. Der Platz mit der Uhr hat viel Ähnlichkeit mit dem Tell-Platz in Tripoli.«
    Trotzdem empfinde sie eine Abneigung gegen die Stadt, sagte Milia. Denn sie nehme einen seltsamen Geruch wahr. Außerdem könne sie förmlich sehen, wie Tel Aviv, mit dem Rücken zum Meer, das Maul aufreiße, um Jaffa zu verschlingen.
    Jaffa würde im Meer untergehen, sagte sie zu Mansûr. Sie saßen am Strand und aßen gegrilltes Fleisch. Mansûr trank Arrak. Milia schaute in das Blau, das sich bis zum Horizont erstreckte, und erzählte, was sie in der Nacht zuvor geträumt hatte. Sie hatte geträumt, dass das Meer in die Stadt schwappt. Dass im Adschami-Viertel alle irakischen Dialekt sprechen. Dass durch die König-Faisal-Straße Boote fahren. Dass sich im Raschîd-Viertel unzählige Menschen, durch Salzwasser watend, versammeln.
    Milia liegt in einem Auto. Das Auto steht mitten auf der Straße. Drum herum kämpfen sich rücksichtslos drängelnde Massen zum Strand vor.
    »O Gott! Er hat doch versprochen, dass er mich erst nach Jaffa bringt, wenn das Kind auf der Welt ist. Was machst du da, Mansûr? Was machst du im Adschami-Viertel da oben auf dem Dach?«
    Explosionen überall. Asma trägt einen Säugling auf dem Arm. Mansûrs Mutter zieht zwei kleine Kinder hinter sich her. In Wellen drängen die Menschen zum Hafen. Menschen über Menschen schieben sich voran, schauen mit leeren Augen, sehen nichts. Dichter Staub bedeckt alles. Männer quetschen sich zwischen die Frauen, ziehen hastig die Uniformen aus, rennen davon. Mansûr sitzt auf dem Dach des Hauses, in der Hand ein englisches Gewehr.
    »Warum flüchten sie?«, fragt Milia.
    »Das sind die irakischen Freiwilligen. Sie haben ihre Waffen weggeworfen, weil ihr Kommandant entlassen wurde. Sie hören nur auf den Befehl von Hadsch Murâd Juguslâwi, sagen sie.«
    »Ich meine die Kinder«, sagt Milia.
    Mansûr, im langen Mantel, beugt sich in dem stürmischen Wind, der die Stadt peitscht. Milia sieht ihn. Er balanciert am Rand des Daches, in der Hand eine brennende Kerze, umhüllt von Nebel. Milia friert. Die beiden Wadî’as sitzen neben ihr auf der Rückbank des amerikanischen Wagens. Milia will die Augen öffnen. Doch die Sonne versengt alles. Sie selbst brennt, Mansûr brennt. Sie hört das Schiffshorn. Das griechische Schiff im Hafen von Jaffa macht sich zur Abfahrt bereit. Mansûr steht neben einem alten Mann. Der Mann sagt, die Jaffa-Lid-Brigade sei geschlagen worden und die überlebenden Kämpfer seien zum Hafen geflüchtet.
    »Wo ist Michel Îssa?«, fragt Mansûr.
    Ein rundes weißes Gesicht, ein schwarzer, die Unterlippe überwuchernder Schnurrbart, nasse Kleidung. Michel Îssa steht im Bombenhagel, der von allen Seiten auf die Stadt niedergeht. Er merkt, dass er die Stimme verloren hat. Als ihm nicht einmal mehr die eigene Stimme gehorchte, sagt er zu Mansûr auf dem griechischen Schiff, habe er begriffen, dass er als Kommandant der Verteidigungstruppen Jaffas ausgedient hatte. Dass die Schlacht zu Ende war. Dass die zweihundert Männer der Rettungsarmee die Flucht ergriffen hatten.
    An Deck hört Mansûr das letzte Hornsignal, bevor das Schiff ablegt und Kurs auf Beirut nimmt.
    In einem schwarzen Kleid steht Asma im Garten des Hauses in Jaffa und schreit Mansûr an: »Bring mich zu Rubin oder ich will die Scheidung! 15 «
    »Wann hast du sie geheiratet, Mansûr?«
    Das jährliche Rubin-Spektakel hat Mansûr als Erwachsener nie besucht, geschweige denn jemanden dahin ausgeführt. Die Feierlichkeiten zu Ehren des Propheten Rubin kannte er ausschließlich aus der Kindheit. Er erinnerte sich deutlich an aufgeschlagene Zelte, an dhikr-Zirkel 16 , an die weiße Fahne mit der Aufschrift: »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Rubin ist Gottes Prophet.« Er erinnerte sich an den festlichen Umzug, der bei der Großen Moschee im Stadtzentrum begann und im Adschami-Viertel endete. Er erinnerte sich an die feiernden Frauen am fünfzehnten September. Wer dieser Prophet war, nach dem ein kleiner Fluss im Süden Jaffas hieß, das wusste er
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