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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie
Autoren: Elias Khoury
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herantrugen und auf das Holz legten.
    Der Prophet fiel auf die Knie und brach in Tränen aus. Er eilte zu seinem Sohn, band ihn los und schob ihn beiseite. Isaak stand auf, ging zu dem weißen Bock, legte die Hand auf den Kopf und hörte ein Wimmern aus dem Bauch des kleinen zitternden Tieres. Er rannte, um grünes Gras zu pflücken, kam zurück, um das Tier zu füttern. Der Bock rieb das Gesicht am Gras und fing an zu weinen. Isaaks Hände füllten sich mit Tränen. Er drehte sich um und sah seinen Vater mit einem Messer in der Hand näher kommen.
    ›Nein, Vater!‹, rief der Junge.
    Abraham stieß seinen Sohn weg, packte den Bock und durchtrennte ihm mit einem Jubelschrei die Kehle. Blut schoss heraus. Das Blut überflutete das Tal. Der Junge hörte das Blut. Es dröhnte in seinen Ohren. Das Blut floss vor ihm, schlängelnd suchte es ein Loch im Boden. Schreie ertönten.
    Als Abraham den Bock schlachtete, rochen er und sein Sohn den Tod und gerieten in einen Blutrausch. Abraham wich zurück. Er schaute zum Himmel und bat Gott, ihm diese Prüfung zu ersparen. Er wandte sich seinem Sohn zu und sah, wie er sich über das im Todeskampf zuckende Tier beugte und den letzten Lebenspuls festzuhalten suchte, der unter dem weißen, von Opferblut verschmierten Fell pochte.
    Er befahl seinem Sohn, den Bock zu nehmen und auf den Holzstoß zu legen.
    Der Junge tat, wie ihm geheißen. Er hob den Bock vom Boden und spürte auf dem Weg zu dem Holz hinter sich das Messer. Der Geruch des Vaters drang ihm in die Nase. Eine Mischung aus Blut und Mist. Vor Schreck ließ er den Bock fallen und drehte sich um, da sah er in der Hand des Vaters die Klinge aufblitzen und rannte davon. Der Vater lief ihm hinterher und rief ihn zurück. Der Sohn aber war überzeugt, dass er, würde er umkehren, dem Messer zum Opfer fallen würde.
    Der Vater versuchte seinen Sohn einzuholen. Doch es gelang ihm nicht. Er ging wieder zu dem Holzstoß, zündete ihn an und brachte das Opfer dar. Dann setzte er sich unter freiem Himmel hin, das Messer immer noch in der Hand.
    Der Mann blieb dort sitzen, bewegte sich nicht von der Stelle, darauf wartend, dass das echte Schaf käme.«
    »Also wusste Jesus, dass er geschlachtet werden würde?«, bemerkte Milia.
    »Sicher«, erwiderte der Mönch.
    »Warum ist er dann zurückgekommen?«
    »Weil die Geschichte zu Ende gehen muss.«
    »Aber ich will nicht, dass die Geschichte zu Ende geht«, widersprach sie.
    »Keine Geschichte ist endlos«, sagte er.
    »Das stimmt nicht. Keine Geschichte hat ein Ende. Geschichten gehen nicht zu Ende. Ich glaube nicht, dass der Vater tausend Jahre auf die Rückkehr seines Sohnes gewartet hat, um ihn zu töten.«
    »Ich bin erschöpft«, sagte Milia und wollte die Augen öffnen.
    »Öffne die Augen nicht«, rief der Mönch. »Ich will dir noch eine Geschichte erzählen.«
    »Ich bin von Ihnen und Ihren Geschichten ganz erschöpft. Die Geschichte geht nicht so. Jesus wusste, dass es ein Schaf gibt. Abraham handelte gegen den Willen des Sohnes. Schließlich konnte er sich Gottes Befehl nicht widersetzen. Er führte seinen Sohn auf den Hügel, es zerriss ihn. Aber er konnte nichts machen. Oben angekommen, band er den Jungen fest und schaute zum Himmel hoch. Er schrie und weinte. Da kam das Schaf. Er sah das Schaf und begriff, dass Gott ihn auf die Probe stellte, um sich seiner Treue zu vergewissern. Abraham warf sich auf die Knie und bat um Vergebung. Er umarmte seinen Sohn, und sie weinten zusammen. Dann schlachteten sie das Schaf und gingen heim, als sei nichts gewesen. Jesus kannte diese Geschichte in- und auswendig. Er hatte sie bestimmt tausend Mal gelesen. Deshalb hat er sich nicht gefürchtet, als er zum Tod am Kreuz verurteilt wurde. Er wusste, dass sein Vater, der das Schaf geschickt hatte, um Isaak vor dem Tod zu retten, unmöglich den eigenen Sohn im Stich lassen würde.«
    »Aber warum hat er ihn im Stich gelassen?«, fragte der Mönch.
    »Ich weiß es nicht. Sie stellen die Frage. Also antworten Sie darauf.«
    »Wie ich schon sagte. Seit damals wartete er auf ihn, noch immer.«
    »Aber das wusste er doch nicht. Erzählen Sie mir nicht, dass er es gewusst hat. Er dachte, es gäbe ein Schaf, sonst wäre er doch gar nicht erst hingegangen.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Mönch.
    »Ich will diese Geschichte nicht wieder hören«, wehrte Milia ab.
    Schmerzen erfassten sie von Kopf bis Fuß. Sie wollte wimmern, spürte aber eine Hand auf dem Mund. Die Hand hielt ihr Mund und Nase
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