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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
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E-Mail-Posteingang eine Werbung mit der Botschaft: »Würdevoll altern schon ab sieben Euro monatlich«.
    So gesehen, kann oder muss Würde privat gekauft werden. Sie wird zu einem ökonomischen Gut. Zu der grundlegenden ethischen Fragwürdigkeit dieses Unterfangens kommt die wirtschaftliche. Denn sicher ist bei diesem Geschäft allein der Gewinn der Privatversicherungen. Was aber bleibt denen, die sich eine solche Versicherung erst gar nicht leisten können? Was passiert, wenn solche Rechnungen in Zeiten wirtschaftlicher Dauerkrisen nicht aufgehen?
    Von Maydell hofft auf einen Sinneswandel.
    – Vielleicht ist das jetzt, wo wir noch nicht voll das Bewusstsein haben von der Misere, der wir entgegengehen, ein wichtiger Moment, in dem wir noch die Eckpflöcke richtig einschlagen können. Wenn wir anfangen, zwischen Menschen mit mehr und weniger Würde zu unterscheiden, ist das ein Kulturbruch. Gleichgültig, wie seriös man das zu begründen versucht. Ich werde das Problem nicht mehr erleben. Sie vermutlich schon.

Erinnerungen XIV
    »Wie kam es zu dem Haus, in dem wir gelebt haben?«
    »Ja, wir hatten das gebaut, und da stand erst mal fast nichts drin. Im Wohnzimmer hatten wir nur einen Schrank und ein Sofa. Es war immer knapp. Ich erinnere mich, dass wir am 23. Dezember Geld gekriegt hatten von der Wohnungsbauförderungsanstalt. Da sind wir noch ganz schnell losgefahren und haben eine Lampe für den Flur gekauft, weil da nur die nackte Birne hing. Aber ich glaube, das war trotzdem ’ne schöne Zeit. Ich glaube das nicht, ich weiß es! Da waren dein Bruder, der kleine Jan und ein Haus. Und eine schöne Dusche und ein Bad, das kannten wir ja alles nicht, damals. Wer hatte da schon ein Haus?«
    Mascha brabbelt.
    »Schätzchen, Schätzchen, Schätzchen … Und Jan war ja überhaupt so das erste Enkelkind. Da wurde der auch heiß geliebt. ›Der kleine Janni!‹«
    »Was war die schönste Zeit in deinem Leben, die Zeit, an die du am liebsten zurückdenkst?«
    »Mit euch Kindern, das war das Schönste überhaupt. Ihr wart unser Lebensinhalt. Heute denke ich, das war zu viel. Wir hätten uns mehr auf uns konzentrieren müssen.«
    Mascha quäkt.
    »Mäuschen! … Auch wenn ich von Mascha so erzähle, dann sag ich, das mit euch war meine schönste Zeit. Das wirst du ja jetzt erleben, wenn sie heranwächst. Und du siehst jeden Tag was anderes, und die machen so Späßchen, sitzen morgens mit dir beim Frühstück und essen oder essen nicht oder schimpfen oder was weiß ich. Und später am Samstagabend, da gab es ja im Fernsehen immer noch so Familienprogramm. Und das war einfach so – da freuten wir uns darauf mit euch. Alleine wenn man merkte, ihr kapiert das alles und seid helle. Du warst auch gelungen, und alles war in Ordnung, und ihr habt uns ja auch nicht so geärgert … anfangs.«
    »Und hinterher?«
    »Ich weiß noch, wie Jan sein Medizinstudium hinschmiss … Ich hätte mich das nicht getraut mit meiner Handelsschule. Und das war eine Horrorschule für mich. Aber ich hätte mich nicht getraut zu sagen: ›Da gehe ich nicht mehr hin!‹ Oder: ›Ich schmeiß die Sachen einfach hin.‹«

Ich wünsche mir ein Würdometer
    Ich komme ins Heim. Sie liegt in einem Sessel vor dem Aufenthaltsraum. Ihre Füße ruhen auf einem Hocker. Das soll bequem sein, macht es ihr aber auch so gut wie unmöglich, ohne Hilfe aufzustehen. Womit wir bei dem Problem wären: Sie klagt über Schmerzen, und ich messe dem keine größere Bedeutung bei. Genauer gesagt: Ich will es nicht wahrhaben. Es passt mir einfach nicht.
    Bis eine Pflegerin kommt, die besorgt schaut und von einem Sturz erzählt. Meine Mutter hat vermutlich nach einer Diskussion mit einer Frau, die ebenfalls nicht mehr ganz im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist, den Essenstisch verlassen, ist nach sechs Schritten über die eigenen Füße gestolpert und mit der rechten Hüfte auf den Boden geknallt. Die tut jetzt weh. Das alles erklärt mir die Pflegerin, und ein wenig versucht sie wohl auch, sich zu rechtfertigen, wo ich eigentlich keine Notwendigkeit zur Rechtfertigung sehe.
    Das Problem ist bekannt. Eine unglückselige Kombination aus dem eigentlich ja begrüßenswerten Bewegungsdrang meiner Mutter und ihrem unsicheren Gang. Das ist nicht der Mut, den ich ihr gern unterstellen würde, sondern eher Selbstüberschätzung oder schlichtweg Realitätsverlust. Sie ist nicht in der Lage, aus ihren Stürzen zu lernen. Die Erfahrung »ich stürze« kann dem mehr als siebzig
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