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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
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noch nicht so richtig angekommen zu sein.
    – Dann wäre es ja fast positiv, dass über die erzwungene flächendeckende Auseinandersetzung mit dem Thema der Würdebegriff wieder stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rückt?
    – Nun, theoretisch gibt es ja auch immer die andere Möglichkeit, die Lösung verschiedener historischer Völker, die ihre Kranken auf den Berg gebracht haben. Oder das Dritte Reich … Deswegen ist es so wichtig, dass man die Erinnerungen an die falschen Wege nicht vergisst.
    Der Theologe und Sozialwissenschaftler Reimer Gronemeyer schrieb dazu im Tagesspiegel :
    »Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, dass eine Gesellschaft, die so auf Konkurrenz, Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Geld hin orientiert ist wie die unsere, Pflegebedürftige, speziell Demente, eigentlich als belastende Außenseiter ansehen muss. Objektiv und subjektiv sind sie gefährdet – welche Barrieren sorgen eigentlich bisher dafür, dass sie von der Gesellschaft nicht verworfen werden? (Die Selbstverwerfung findet ja oft genug statt.) Und werden diese Barrieren auch unter den Bedingungen einer demografisch alternden Bevölkerung und unter dem Druck ökonomischer Krisen halten und die Betroffenen davor schützen, lebensverkürzenden Maßnahmen ausgesetzt zu sein? (Die Rationierung von Gesundheitsleistungen findet ja schon statt.)«
    – Glauben Sie, es könnte wieder so weit kommen, dass alte Menschen, insbesondere mit Demenz, bewusst dem Tod überlassen werden?
    Ein Inuit im Norden Alaskas erzählte mir einmal vom Leben seiner Vorfahren, einer Zeit, in der sich alte Menschen, die keinen Nutzen mehr für die Gemeinschaft hatten, auf Eisschollen begaben, um dem Tod entgegenzutreiben. Angeblich taten sie das mehr oder minder freiwillig, was ich allerdings bezweifelte. Zumindest hätte ich sehr gern mal ein paar Interviews auf so einer Eisscholle geführt. Doch nach den Berichten des dänisch-grönländischen Polarforschers Knud Rasmussen und Studien des kanadischen Psychologen Antoon A. Leenaans kam es vor allem in Zeiten von Lebensmittelknappheit durchaus vor, dass die der extremen Natur ausgesetzten Gemeinschaften Alten und Schwachen mehr oder minder stark bei einem Suizid »behilflich« waren oder sie direkt töteten. Allerdings sollte man wohl anerkennen, dass es seitdem doch den einen oder anderen zivilisatorischen Fortschritt gegeben hat.
    – Nein.
    Sagt von Maydell.
    – In dieser Form denke ich nicht. Aber es gibt ja andere Formen. Bei der Frage nach der Rationierung von Gesundheitsmitteln zeigt sich die Unehrlichkeit der Diskussion. Das hängt eng miteinander zusammen. Wenn sich mit wesentlich mehr Aufwand, etwa der stärker individualisierten Pflege, etwas wesentlich verbessern ließe, und wir stellen die Mittel nicht zur Verfügung, dann ist das ja nichts anderes. Und damit die Frage, was eine Gesellschaft den Betroffenen zur Verfügung stellen soll, richtig entschieden wird, ist das Bewusstsein sehr hilfreich, dass es jeden treffen kann, dass es die eigenen Eltern und Großeltern sind und kein, um ein schlimmes Wort zu benutzen, »entmenschlichtes« Wesen.
    Ich erzähle von meinen Zweifeln und auch Sorgen, ob der Pflegestandard, den meine Mutter heute erfährt und den ich nicht immer als optimal bezeichnen würde, auch mir zur Verfügung stehen wird, wenn ich alt bin. Von Maydell nickt.
    – Die Aufgaben sind gewaltig. Wenn man das hochrechnet, hat man es schnell mit einem Schauerszenario zu tun. Man wird sehen müssen, was möglich ist. Aber man kann nicht mit der Begründung, »das sind nur Demente«, Einsparungen rechtfertigen. Dann würden wir einen Teil unserer Menschlichkeit aufgeben. Menschen mit Demenz haben Anspruch auf würdige Behandlung, und wenn man nicht mehr alles bezahlen kann, darf man das nicht mit einem reduzierten Personen- oder Würdebegriff verbinden. Wenn wir alle zusammenrücken müssen, ist das in Ordnung.
    Der Leiter des Altenheims, in dem mein Vater lebt, sprachin diesem Zusammenhang mal von Vier- bis Fünfbettzimmern. Er lachte. Aber es war kein Scherz. Und so ziemlich das Einzige, was von dem von der Politik groß angekündigten Pflegejahr 2011 übrig zu bleiben scheint, ist ein wenig mehr Geld für die Betreuung von Menschen mit Demenz in ihrem Zuhause, eine bessere Unterstützung von Pflege- WG s und die Förderung einer privaten Pflege-Zusatz-Versicherung, die in erster Linie Besserverdienenden zugutekommt. Tatsächlich finde ich wenig später in meinem
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