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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
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Auseinandersetzung mit einer möglichen Demenz ist eher ungewöhnlich.
    – Die ganzen Zahlen machen klar, dass da ein Problem auf uns zukommt, mit dem sich die große Mehrzahl der Menschen noch nicht wirklich auseinandergesetzt hat. Das tun bisher nur einige Spezialisten aus der Theologie, der Medizin oder der Gerontologie. Für betroffene Familien ist das oft schwierig.
    Von Maydell ist Jurist, emeritierter Professor am Münchner Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht und Verfasser eines für mich sehr interessanten Aufsatzes mit dem Titel »Die Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen in ihrer rechtlichen Dimension«. Für von Maydell ist es keine Frage, dass auch Menschen mit schwerer Demenz einen umfassenden Anspruch auf Würde haben. Er verweist auf das Bundesverfassungsgericht, laut dem die Menschenwürde »auch dem eigen [ist], der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann«. Damit sei allerdings, erklärt von Maydell, noch nichts über den Inhalt des Würdeanspruchs gesagt.
    – Bei der Frage nach der Vormundschaft, wo Menschen mit Demenz öfter gehört werden müssten, macht man es sich zum Beispiel oft zu einfach. Die Frage nach den Fixierungen, wenn es darum geht zu verhindern, dass die Betroffenen ihr Heim verlassen, der Anordnung von Zwangsernährung, der Verabreichung von Psychopharmaka … Da gibt es sicher Maßnahmen, die oft auch notwendig sind. Aber manchmal geht es eben auch zu weit. Nach welchen Kriterien da entschieden wird, kann man durchaus hinterfragen.
    Nach dem Pflegebericht der Medizinischen Dienste der Krankenkassen, welche die Qualität der Pflege kontrollieren, werden rund 140000 Pflegebedürftige zumindest zeitweise mit Gittern oder Gurten im Bett oder Rollstuhl festgehalten. Bei mehr als zehn Prozent fehlt die dafür vorgeschriebene richterliche Genehmigung, obwohl sich die Zahl dieser Bewilligungen in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Dazu kommt, dass bei einer umfangreichen Stichprobe festgestellt wurde, dass bei zwanzig Prozent der Betroffenen nicht regelmäßig geprüft wird, ob die angeordneten Maßnahmen nach wie vor erforderlich sind. Alles vor dem Hintergrund, dass nach dem Stand der Wissenschaftsolche freiheitseinschränkenden Maßnahmen weitgehend vermieden werden können und das letzte Mittel der Wahl sein sollten. Selbst wenn die Sicherheit der Betroffenen dabei eine große Bedeutung hat, darf das ihre Selbstbestimmung nicht grundsätzlich einschränken. In einem Urteil des Bundesgerichtshofes heißt es dazu: »Die Rechtspflichten der Pflege, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, können nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden.«
    Für eine solche Abwägung fehlt im Alltag aber oftmals die Sensibilität, das Fachwissen oder schlichtweg die Zeit. Und das betrifft sicher nicht nur die Heime. Auch in der häuslichen Pflege, die von aufopferungswilligen, aber häufig überforderten Angehörigen geleistet wird, sollte man nicht von durchweg paradiesischen Zuständen ausgehen.
    Natürlich verfolgt von Maydell die öffentliche Debatte, in der die Betroffenen immer wieder als Menschen gezeigt werden, »die ihre Individualität verloren haben und die selbst von ihren engsten Angehörigen nicht mehr als die Persönlichkeit anerkannt werden, die sie einmal gewesen sind«. Und er hat auch beobachtet, »dass Zweifel entstehen, ob es sich bei Demenzkranken noch um Subjekte mit voller Rechtsfähigkeit handelt«. Anders als die Geschäftsfähigkeit beginnt die Rechtsfähigkeit nach dem gängigen Verständnis bei allen Menschen mit der vollendeten Geburt und ist Ausdruck der personalen Würde. Wobei die Rechtswissenschaften noch zwischen »natürlichen Personen«, also tatsächlichen Menschen, und »juristischen Personen« unterscheiden. Letztere sind »Personenvereinigungen« wie Stiftungen und Aktiengesellschaften oder auch Vereine. Womit sich vielleicht auch eine Lösung für Richard David Prechts Problem »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« anbietet. Der Mann könnte ein Verein sein.
    In den öffentlichen Diskussionen gehe es, sagt von Maydell, vor allem um die Finanzierung der Pflegeversicherung, aber nur selten um die Qualitätsstandards der
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