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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Autoren: Joern Klare
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Pflege. Doch gerade eine individualisierte Pflege garantiere die Würde der Menschen mit Demenz.
    – Das müsste das Ziel sein, wenn man ernst nimmt, was Artikel 1 des Grundgesetzes über die Würde sagt. Wenn man das nicht tut und das infrage stellt, läuft das System anders.
    Dann wäre, so von Maydell, die Würde allein vom vorhandenen Budget abhängig. Ich muss an »das Rettungsboot« von Michael Quante denken.
    – Und man kann schon den Eindruck gewinnen, dass man diese Fragen nach der Würde genau deswegen gern etwas im Dunkeln lässt. Für die Organisation der Gesellschaft ist das ja einfacher und sicher auch billiger. Öffentlich sagt aber kaum jemand: »Der Demente hat keine Würde!«
    In diesem Zusammenhang formulierte der Deutsche Ethikrat 2012 in der Stellungnahme »Demenz und Selbstbestimmung« eine Reihe von Empfehlungen, die auf die Verbesserung der Situation der Betroffenen, aber auch ihrer Angehörigen zielen. Im sechzehnten und letzten Punkt heißt es da unmissverständlich: »Insgesamt sollten für den Bereich der Begleitung und Versorgung von Demenzerkrankten und ihren Angehörigen mehr finanzielle Ressourcen als bisher aufgewendet werden.«
    In der Stellungnahme taucht die »Menschenwürde« selbst eher am Rande auf. Allerdings ist sie die Grundlage der vorwiegend thematisierten und weniger abstrakten Selbstbestimmung. Gleichwohl stellt der Ethikrat fest, dass die Würde und die Freiheit dem Menschen von Natur aus zukommen, womit sie als »unveräußerlich zu gelten haben«. Das heißt, die Würde kann dem Menschen »auch nicht durch eine Krankheit, die ihn seiner geistigen und körperlichen Kräfte beraubt«, genommen werden. Unmissverständlich gilt sie »auch für den Umgang mit den Demenzbetroffenen«.
    – Welche Rolle spielen bei den Juristen die Theorien, die Menschen mit Demenz den Status einer Person absprechen?
    – Nun, Peter Singer ist ja ein geachteter Wissenschaftler mit vielen Auszeichnungen. Bei den Juristen setzt man sich mit diesen Ansätzen aber noch nicht ernsthaft auseinander. Zumindest nicht öffentlich. Gott sei Dank steckt den Juristen das Dritte Reich noch in den Knochen. Unausgesprochen problematisch sind aber etwa die schon erwähnten Fragen der Vormund- und Pflegschaften. Man kann nicht sagen, dass da hinsichtlich der Würde immer genau abgewogen wird.
    – Wird der Einfluss solcher Theorien wie der von Singer stärker?
    – Sicher wird der stärker. Man muss sich nur mal die Zeitachse von 1945 bis heute ansehen. Nach 45 konnte man über so was nicht diskutieren.
    Dass die Achtung der Würde des Menschen 1948 als Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und 1949 im ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben wurde, war eine direkte Konsequenz aus den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und vor allem der menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten. Es ging darum, einen Maßstab einzuführen, der unverrückbar jeden einzelnen Menschen schützen sollte.
    – Ist das eine Frage der unzureichenden Erinnerung, also des Vergessens?
    Jeder fünfte Deutsche unter dreißig Jahren, so eine Studie, kennt Auschwitz nicht und weiß somit auch nicht, was dort geschah.
    – Ich glaube schon. Keiner, der von diesen Ereignissen geprägt wurde, ist bereit, sich schnell auf solche Diskussionen einzulassen. Dieser Schock sitzt schon unwahrscheinlich tief. Aber es ist oder war auch ein heilsamer Schock. Für die jüngeren Generationen ist das vor allem Geschichte.
    – Glauben Sie, dass unserer Gesellschaft ausreichend bewusst ist, dass die Würde der Menschen mit Demenz bedroht ist? Was müsste passieren, um dieses Bewusstsein zu stärken?
    – Ich denke, die Macht der Zahl der Fälle wird dazu führen, dass man sich intensiver damit beschäftigt. Es wird eine Zeit geben, in der keine Familie mehr ohne einen Fall ist. Und wenn man so nah damit konfrontiert wird, kann man nicht mehr ausweichen. Im Moment gibt es da noch viele Tabus. Die kann man sich allerdings nur leisten, wenn man Abstand halten kann. Die Demenz zählt sicher nicht zu den beliebten Gesprächsthemen. Aber diese Verdrängung wird nicht mehr lange funktionieren.
    Von Maydell lehnt sich zurück. Auch die Juristen, meint er, »müssten wohl noch stärker auf dieses Pferd gesetzt werden«. Bisher würden sie sich in ihren Stellungnahmen zum Würdebegriff so gut wie gar nicht mit der Demenz auseinandersetzen.
    – Die scheint in den Familien der Kommentatoren wohl
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