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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann
Autoren: L Murray
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betrunkenen Latinos, die draußen auf der Fordham Road auf Holzsteigen sitzen und Gewinner im Domino hart anpacken, weit weg von den orangefarbenen Blinklichtern der Bodegas, weg über die Dächer dieses Viertels in der Bronx. Ich bezwinge meine Gedanken so lange, bis die Einzelheiten ihres Gesichts verwischen. Ich muss sie verbannen, wenn ich wenigstens ein bisschen Schlaf finden will. Und ich brauche den Schlaf – es sind nur noch ein paar Stunden, bis ich wieder draußen auf der Straße bin, ohne Bleibe, ohne Ziel.

1
University Avenue
    Zum ersten Mal hörte Daddy von mir hinter Glas bei einem ihrer regelmäßigen Besuche im Gefängnis, als Ma mit Tränen in den Augen ihr Hemd anhob und zur Untermauerung ihren schwangeren Bauch entblößte. Meine Schwester Lisa, gerade mal etwas über ein Jahr alt, saß seitlich auf Mas Schoß.
    Später, wenn Ma über diese Phase ihres Lebens nachdachte, würde sie das Ganze folgendermaßen erklären: »So war das nicht geplant, mein Schatz. Daddy und ich haben das nun wirklich nicht mit Absicht getan.«
    Obwohl sie sich seit ihrem dreizehnten Lebensjahr allein durchschlug und Drogenprobleme hatte, bestand Ma darauf, zu betonen: »Daddy und ich haben uns den Arsch aufgerissen. Irgendwann würden wir genau wie die anderen sein, so habe ich es mir vorgestellt. Daddy würde eine richtige Anstellung finden und ich als Stenografin am Gericht arbeiten. Ich hatte Träume.«
    Ma kokste. Sie schoss sich aufgelösten weißen Staub in ihre Venen, der dann ähnlich wie ein Blitz durch ihren Körper fuhr, sie anfeuerte, ihr das Gefühl, wie flüchtig auch immer, von etwas gab, das sich vorwärts entwickelte, tagein, tagaus.
    »Auftrieb«, nannte sie es.

    Sie begann als Teenager mit den Drogen; ihr eigenes Zuhause war ein Hort von Wut, Gewalt und Missbrauch.
    »Grandma war einfach verrückt, Lizzy. Pop kam meistens betrunken nach Hause und verprügelte uns, egal womit – Verlängerungskabel, Stöcke, völlig egal. Sie verzog sich dann zum Putzen in die Küche und summte dabei vor sich hin, als wäre das alles ganz normal. Und führte sich dann fünf Minuten später wie diese bescheuerte Mary Poppins auf, kaum dass wir blau und grün geschlagen waren.«
    Als ältestes von vier Kindern sprach Ma oft von ihren Schuldgefühlen, weil sie schließlich den Missbrauch – und ihre Geschwister – hinter sich ließ. Mit gerade mal dreizehn Jahren ging sie auf die Straße.
    »Ich konnte dort nicht länger bleiben, nicht einmal für Lori oder Johnny. Wenigstens hatten sie Mitleid mit Jimmy und gaben ihn weg. Scheiße, ich musste da einfach abhauen. Unter einer Brücke war es besser und sicherer als zu Hause.«
    Ich musste wissen, was Ma unter Brücken gemacht hat.
    »Tja, Schätzchen, keine Ahnung, meine Freunde und ich hingen einfach rum und redeten … über das Leben. Über unsere beschissenen Eltern. Darüber, wie wir so viel besser dran waren. Wir redeten … und ich nehme mal an, dass wir high wurden, und danach spielte es keine Rolle mehr, wo wir waren.«
    Ma fing klein an, sie rauchte Marihuana und schnüffelte Klebstoff. Während ihrer Teenagerzeit, in der sie zwischen den Sofas von Freunden hin- und herzog und sich durch Jugendprostitution und komische Jobs wie Fahrradkurier Geld verdiente, stieg sie auf Speed und Heroin um.
    »Im Village war echt was los, Lizzy. Ich hatte diese klobigen, hohen Lederstiefel. Und es war mir total egal, klapperdünn zu sein, ich trug Shorts und ein Cape, das mir den ganzen Rücken hinunterhing. Ja, ganz genau, ein Cape. Ich war richtig cool. Voll dabei, Mann. So redeten wir damals. Schätzchen, du hättest mich damals erleben sollen.«

    Als Ma Daddy traf, war Kokain ein angesagter Siebzigerjahretrend im Einklang mit Hüfthosen, Koteletten und Discomusik. Ma beschrieb Daddy zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens als »geheimnisvoll, gut aussehend und verdammt klug«.
    »Er kapierte einfach alles, weißt du? Die meisten der Jungs, mit denen ich abhing, konnten ihr Hirn nicht von ihrem Hintern unterscheiden, aber dein Vater hatte einfach total was auf dem Kasten. Ich finde, man könnte sagen, er war schlau. «
    Daddy kam aus einer irisch-katholischen Mittelstandsfamilie aus den Vororten. Sein Vater fuhr als Kapitän auf einem Frachtschiff und war ein starker Trinker. Seine Mutter war eine hart arbeitende und eigensinnige Frau, die sich weigerte, das, was sie als »Dummheiten« der Männer bezeichnete, einfach so hinzunehmen.
    »Alles, was du über deinen Großvater
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