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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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Tonfall wechselte nun vom Zorn zum Befehl. »Du wirst morgen eine Ziege, eine Henne, eine Rolle Tuch und hundert Kauri zum Schrein Anis bringen.« Er erhob sich und verließ die Hütte.
    Okonkwo tat, wie ihm der Priester geheißen. Er trug außerdem einen Krug Palmwein mit sich. Im Innern bereute er. Doch war es nicht seine Art, umherzugehen und seinen Nachbarn zu gestehen, dass er einen Fehler begangen habe. Also sagten die Leute, es fehle ihm die Achtung vor den Göttern des Klans. Seine Widersacher fanden, sein Glück sei ihm zu Kopf gestiegen. Sie verglichen ihn mit dem kleinen Vogel nza [53]   , der sich nach einem üppigen Mahl so sehr vergaß, dass er sein chi herausforderte.
    Während der Woche des Friedens wurde keine Arbeit verrichtet. Die Leute machten Nachbarschaftsbesuche und tranken Palmwein. In diesem Jahr war das nso-ani [54]   Okonkwos das Hauptgesprächsthema. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ein Mann den heiligen Frieden gebrochen. Selbst die ältesten Männer konnten sich an höchstens ein, zwei solche Fälle in dunkler Vorzeit erinnern.
    Ogbuefi Ezeudu, der älteste Mann im ganzen Dorf, meinte gegenüber zwei anderen, die ihn besuchen kamen, die Strafe für einen Verstoß gegen den Frieden Anis sei im Klan sehr mild geworden.
    »Das war nicht immer so«, sagte er. »Mein Vater sagte, ihm habe man erzählt, früher sei ein Mann, der den Frieden brach, durchs Dorf geschleift worden, bis er starb. Nur wurde dieser Brauch irgendwann aufgegeben, weil er eben den Frieden brach, den er bewahren sollte.«
    »Mir hat erst gestern jemand erzählt«, sagte einer der jüngeren Männer, »dass es in anderen Klans als frevlerisch gilt, wenn ein Mann in der Woche des Friedens stirbt.«
    »Das stimmt«, sagte Ogbuefi Ezeudu. »So halten sie es in Obodoani [55]   . Wenn während dieser Frist jemand stirbt, wird er nicht bestattet, sondern in den bösen Busch gebracht. Das ist eine schlechte Sitte; es fehlt ihnen an Weitsicht. So bringen sie Männer und Frauen in großer Zahl ohne Bestattung weg. Und die Folge? Der Klan wird von den bösen Geistern der unbestatteten Toten heimgesucht, die den Lebenden zu schaden trachten.«

    Nach der Woche des Friedens begann jedermann mit seiner Familie Wald zu roden, um neue Felder anzulegen. Das geschlagene Grün ließ man trocknen und setzte es dann in Brand. Sobald der Rauch in den Himmel stieg, erschienen aus verschiedenen Richtungen Milane und entsandten, über den Feuern kreisend, einen letzten Gruß. Die Regenzeit stand bevor, der Moment, da sie fortziehen würden, um erst zur Trockenzeit wiederzukehren.
    Die nächsten Tage verbrachte Okonkwo damit, seine Saatyams vorzubereiten. Jede Knolle prüfte er genau auf ihre Tauglichkeit. Gelegentlich befand er eine von ihnen als zu groß, um sie in einem Stück auszusäen, dann spaltete er sie gekonnt der Länge nach mit seinem scharfen Messer. Sein ältester Sohn Nwoye und Ikemefuna halfen ihm; sie trugen die Yams in langen Körben aus dem Speicher herbei und zählten die geprüften Saatknollen zu jeweils vierhundert Stück zusammen. Manchmal überließ ihnen Okonkwo ein paar Yams zur Prüfung. Doch stets blieb er mit ihren Befunden unzufrieden, und das sagte er deutlich und drohend.
    »Glaubst du, du würfelst Yams für den Kochtopf?«, fragte er Nwoye. »Wenn du noch einmal eine Yams von dieser Größe spaltest, breche ich dir das Kinn. Du hältst dich noch für ein Kind, ich in deinem Alter hatte fast schon eigene Felder. Und du«, sagte er zu Ikemefuna, »pflanzt ihr keine Yams, wo du herkommst?«
    Im Grunde wusste Okonkwo, dass die beiden noch zu jung waren, um wirklich etwas von der heiklen Kunst der Saatvorbereitung zu verstehen. Aber er fand, man könne nicht früh genug anfangen. Yams war der Inbegriff der Männlichkeit, und wer seine Familie von einer Ernte zur nächsten von Yams ernähren konnte, war ein großer Mann. Okonkwo wollte, dass aus seinem Sohn ein großer Bauer und ein großer Mann wurde. Er würde die beunruhigenden Anzeichen der Trägheit ausmerzen, die er bereits in ihm zu erkennen glaubte.
    »Ich will keinen Sohn, der nicht erhobenen Hauptes in den Versammlungen des Klans sitzen kann. Eher erwürge ich ihn mit meinen eigenen Händen. Und wenn du mich weiter so anstarrst«, schimpfte er, »spaltet dir Amadiora [56]   noch vorher den Schädel!«
    Wenige Tage darauf zog Okonkwo, als zwei, drei schwere Regengüsse das Land durchnässt hatten, mit seiner Familie und Körben voller
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