Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
Vom Netzwerk:
sich vor dem Schlag. Umsonst. Zweimal fiel Okonkwos Messer, dann lag der Kopf des Mannes neben dem uniformierten Rumpf.
    Die reglose Kulisse erwachte zu wuselndem Leben, die Versammlung war beendet. Okonkwo stand da und blickte auf den Toten nieder. Er wusste nun, dass Umuofia nicht in den Krieg ziehen würde. Er wusste es, weil man die anderen Boten hatte entkommen lassen. Es hatte Aufruhr gegeben anstelle von Taten. Und in dem Aufruhr witterte er Entsetzen. Er hörte Stimmen, die riefen: »Warum hat er das getan?«
    Er wischte sein Buschmesser im Sand ab und ging.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Als der District Commissioner mit einer Abordnung bewaffneter Soldaten und Gerichtsdiener auf Okonkwos Hof eintraf, fand er im obi eine bedrückte Männerrunde vor. Er befahl allen, vor die Hütte zu treten, und sie gehorchten ohne Widerworte.
    »Wer von euch ist Okonkwo?«, ließ er durch seinen Dolmetscher fragen.
    »Er ist nicht da«, antwortete Obierika.
    »Wo ist er?«
    »Er ist nicht da!«
    Der Commissioner wurde wütend, sein Gesicht lief rot an. Er warnte die Männer, dass er sie, wenn sie Okonkwo nicht augenblicklich herausrückten, allesamt einsperren ließe. Die Männer flüsterten, dann sprach Obierika erneut.
    »Wir können dich zu ihm führen, und vielleicht können deine Männer uns helfen.«
    Der Commissioner verstand nicht, was Obierika meinte mit seinem ›Vielleicht können deine Männer uns helfen‹. Eine der ärgerlichsten Angewohnheiten dieser Leute war ihr Hang zu überviel Worten, fand er.
    Obierika und fünf oder sechs andere gingen voraus. Der Commissioner und seine Männer folgten mit entsicherten Waffen. Er hatte Obierika gewarnt, dass, wenn er und seine Leute ihm irgendwelche Streiche spielen sollten, sie auf der Stelle erschossen würden. Und so zogen sie dahin.
    Hinter Okonkwos Hof war ein kleiner Wald. Der einzige Durchlass vom Hof aus war ein rundes Loch in der Lehmmauer, durch das das Geflügel auf seiner endlosen Nahrungssuche ein- und ausging. Ein Mensch aber passte nicht durch dieses Loch. Und in diesen Wald führte Obierika nun den Commissioner und seine Männer. Der Mauer entlang umrundeten sie die Hofanlage. Zu hören war einzig das Rascheln der trockenen Blätter unter ihren Sohlen.
    Schließlich erreichten sie den Baum, an dem Okonkwos Leichnam baumelte, und blieben schlagartig stehen.
    »Vielleicht können deine Männer uns helfen, ihn abzuschneiden und zu begraben«, sagte Obierika. »Wir haben nach Fremden aus einem Nachbardorf geschickt, aber bis sie kommen, kann es dauern.«
    Der District Commissioner war wie ausgewechselt. Der energische Verwalter wich dem Erforscher primitiver Sitten und Gebräuche.
    »Weshalb könnt ihr ihn nicht selbst herunterholen?«, fragte er.
    »Es verstößt gegen unseren Brauch«, sagte einer der Männer. »Es ist ein Frevel, wenn ein Mann sich das Leben nimmt. Es ist ein Vergehen gegen die Erde, und ein Mann, der dies tut, wird von seinen Klansleuten nicht bestattet. Sein Leichnam ist ein Übel, nur Fremde dürfen ihn berühren. Deshalb bitten wir deine Leute, ihn herunterzuholen: weil ihr Fremde seid.«
    »Werdet ihr ihn bestatten wie jedermann?«, fragte der Commissioner.
    »Wir können ihn nicht bestatten. Das können nur Fremde. Wir bezahlen deine Leute auch dafür. Wenn er begraben ist, werden wir unsere Pflicht gegen ihn tun. Wir werden opfern, um das entweihte Land zu reinigen.«
    Obierika, der den Blick nicht vom baumelnden Körper seines Freundes gewandt hatte, drehte sich auf einmal dem Commissioner zu und fuhr ihn an: »Dieser Mann war einer der größten Umuofias. Du hast ihn dazu getrieben, sich zu töten, und nun wird er verscharrt werden wie ein Hund …« Mehr brachte er nicht heraus. Seine Stimme bebte und würgte die Worte ab.
    »Ruhe!«, rief einer der Boten ganz unnötig.
    »Holt ihn herunter«, befahl der Commissioner seinem Hauptboten, »und dann bringt ihn und diese ganzen Leute ins Gericht.«
    »Ja, Sir«, erwiderte der Bote und salutierte.
    Der Commissioner entfernte sich mit drei oder vier der Soldaten. In den langen Jahren, die er sich nun schon abmühte, diversen Teilen Afrikas die Zivilisation zu bringen, hatte er so manches gelernt. Unter anderem, dass ein District Commissioner keinesfalls würdelosen Kleinkram, wie etwa die Bergung eines Erhängten aus einem Baum, selbst besorgen durfte. Das würde ihn im Ansehen der Eingeborenen herabsetzen. In dem Buch, das er zu schreiben gedachte, würde er gerade dies immer wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher