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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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gehängt. Andere meinten, ihre Familien würden allesamt mitgehängt. Wieder andere meinten, die Soldaten seien schon auf dem Weg und würden die Bewohner Umuofias erschießen, wie sie es mit jenen von Abame getan hatten.
    Es herrschte Vollmond. Doch in dieser Nacht hörte man keine Kinderstimmen. Der ilo des Dorfs, wo sie sich sonst zum Spielen trafen, war verwaist. Die Frauen Iguedos trafen sich nicht in ihrer geheimen Einfriedung, um den neuen Tanz einzustudieren, der dem Dorf demnächst vorgeführt werden sollte. Junge Männer, die sonst im Mondlicht unterwegs waren, hüteten in dieser Nacht ihre Hütten. Ihre männlichen Stimmen waren nicht auf den Dorfpfaden zu hören, die sie zu Freunden und Geliebten nahmen. Umuofia glich einem verschreckten Tier mit gespitzten Ohren, das die stille unheilvolle Luft witterte, unsicher, in welche Richtung es fliehen sollte.
    Nur der einsame Ausrufer mit dem sonor geschlagenen ogene störte die Stille. Er rief jeden Mann Umuofias von der Akakanma-Altersgruppe aufwärts nach dem Morgenmahl zu einer Versammlung auf dem Marktplatz. Er durchquerte das Dorf von einem Ende zum anderen, in der gesamten Breite. Er ließ nicht einen der Hauptfußpfade aus.
    Okonkwos Hof lag wie verlassen da. Als hätte man ihn mit kaltem Wasser übergossen. Seine Familie war vollzählig anwesend, doch alle sprachen nur im Flüsterton. Seine Tochter Ezinma hatte ihren achtundzwanzigtägigen Besuch bei der Familie ihres künftigen Mannes abgebrochen und war unverzüglich nach Hause geeilt, als sie hörte, dass man ihren Vater festhielt und hängen wollte. Bei ihrem Eintreffen lief sie sofort zu Obierika, um zu erfahren, was die Männer Umuofias zu tun gedachten. Doch Obierika war seit dem Morgen nicht mehr zu Hause gewesen. Seine Frauen glaubten, er nehme an einer geheimen Versammlung teil. Da tröstete sich Ezinma mit dem Gedanken, dass offenbar etwas unternommen wurde.
    Am Morgen nach der Kunde des Ausrufers versammelten sich die Männer Umuofias auf dem Marktplatz und entschieden, zur Beschwichtigung des weißen Mannes ohne weiteren Aufschub sofort die zweihundertundfünfzig Sack Kauri einzusammeln. Sie wussten nicht, dass fünfzig Säcke an die Gerichtsdiener gehen würden, die die Strafe zu ebendiesem Zweck erhöht hatten.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Okonkwo und seine Mitgefangenen wurden sofort freigelassen, nachdem die Strafe bezahlt worden war. Der District Commissioner sprach noch einmal mit ihnen: über die große Königin, über Frieden und gute Regierung. Doch die Männer hörten nicht hin. Sie saßen nur teilnahmslos vor ihm und blickten ihn und seinen Dolmetscher starr an. Am Ende gab man ihnen ihre Ziegenlederbeutel zurück, ihre Scheiden mit den Kampfmessern, und sagte, sie sollten nach Hause gehen. Sie standen auf und verließen den Gerichtshof. Sie sprachen mit keinem, auch nicht miteinander.
    Der Gerichtshof lag, wie die Kirche, etwas außerhalb des Dorfs. Der Pfad, der beide verband, war ein vielbenutzter, weil er zum Fluss hinter dem Gericht führte. Er war licht und sandig. In der Trockenzeit waren Fußpfade immer licht und sandig. Wenn aber der Regen kam, wurde der Busch zu beiden Seiten so dicht, dass er den Pfad bedrängte. Momentan herrschte Trockenzeit.
    Auf dem Weg ins Dorf begegneten den sechs Männern Frauen und Kinder, die mit ihren Wasserkrügen zum Fluss wollten. Doch die Männer machten derart finstere, furchterregende Mienen, dass die Frauen und Kinder ihnen kein › nno ‹, kein Willkommen boten, sondern ihnen seitlich auswichen und sie schweigend vorbeiließen. Im Dorf schlossen sich den Heimkehrern Männer in kleinen Gruppen an, bis eine recht ansehnliche Schar beisammen war. Sie gingen schweigend. Bei jedem der sechs erreichten Höfe drehte einer der Heimkehrer ab und mit ihm ein Teil der Gefolgschaft. Das Dorf war auf stumme, verhaltene Weise geschäftig.
    Ezinma hatte, sobald die Nachricht die Runde machte, dass die sechs Männer bald freikämen, Speisen für ihren Vater bereitet. Sie brachte sie ihm in den obi . Er aß gedankenabwesend. Er hatte keinen Appetit; er aß nur ihr zuliebe. Seine männlichen Verwandten und Freunde waren im obi versammelt, und Obierika drängte ihn, zu essen. Niemand sonst sprach, aber die langen Striemen auf Okonkwos Rücken, wo die Peitsche des Wärters ihm ins Fleisch geschnitten hatte, waren für alle sichtbar.

    Nachts drehte der Ausrufer erneut seine Runden. Er schlug seinen eisernen Gong und verkündete, es werde am Morgen
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