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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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nur einmal im Leben die Peitsche ergriffen – um die Menge aus seiner Kirche zu treiben.
    Innerhalb nur weniger Wochen nach seinem Eintreffen in Umuofia hatte Mr Smith eine junge Frau aus der Kirche ausgeschlossen, die neuen Wein in eine alte Flasche gegossen hatte. Diese Frau hatte ihrem Heidenmann gestattet, ihr totes Kind zu entstellen. Das Kind war zum ogbanje erklärt worden, das seine Mutter quälte, indem es starb und zur nächsten Geburt wieder in ihren Schoß schlüpfte. Viermal hatte das Kind den bösen Kreis durchlaufen. Also war es zur Abschreckung entstellt worden.
    Mr Smith war von Ingrimm erfüllt, als er davon hörte. Er wollte die Geschichte nicht glauben, obwohl einige der frommesten unter den Bekehrten ihm versicherten, es gebe wahrhaft bösartige Kinder, die sich nicht einmal von Entstellungen abschrecken ließen, sondern mitsamt der Narben zurückkehrten. Mr Smith hielt ihnen entgegen, solche Geschichten verbreite der Teufel in der Welt, um Menschen in die Irre zu führen. Wer diesen Geschichten glaube, sei nicht würdig, an der Tafel des Herrn zu sitzen.
    In Umuofia besagte ein altes Sprichwort, dass so, wie ein Mann tanze, dazu die Trommeln geschlagen würden. Mr Smith tanzte im rabiaten Takt, und die Trommeln rasten. Den übereifrigen Konvertiten, von Mr Browns zügelnder Hand im Zaum gehalten, ließ seine Gunst nun freien Lauf. Zu ihnen gehörte Enoch, Sohn des Schlangenpriesters, dem man nachsagte, den heiligen Python erschlagen und verspeist zu haben. Enochs Hingabe zum neuen Glauben schien so viel grenzenloser als Mr Browns, dass die Dorfbewohner ihn mit dem Außenstehenden verglichen, der lauter klagte als die Angehörigen eines Verstorbenen.
    Enoch war klein und schmächtig und anscheinend immer in großer Eile. Seine Füße waren kurz und breit, wo er ging und stand, schlugen seine Fersen aneinander und drehten sich die Füße nach außen, als lägen sie im Widerstreit und wollten in verschiedene Richtungen gehen. In Enochs kleinem Körper staute sich so viel übermächtige Kraft, dass sie sich ständig in Streit und Händeln Luft machte. Jeden Sonntag stellte er sich vor, dass die Predigt seinen Feinden gelte. Und saß er einem solchen nahe, drehte er sich gelegentlich mit vielsagendem Blick nach ihm um, als wollte er sagen: ›Siehst du?‹ Enoch war dann auch derjenige, der den großen Streit zwischen Kirche und Klan in Umuofia entfachte, der schon seit Mr Browns Abreise schwelte.
    Es geschah bei der jährlichen Zeremonie zu Ehren der Erdgöttin. Zu diesem Anlass entstiegen die Ahnen des Klans der Mutter Erde, der sie bei ihrem Tod übergeben worden waren, durch winzige Termitenhügel als egwugwu .
    Eines der schlimmsten Verbrechen, die ein Mann begehen konnte, war es, öffentlich einen egwugwu zu demaskieren oder irgendetwas zu sagen oder zu tun, was dessen unsterbliches Ansehen in den Augen der Nichteingeweihten schmälern könnte. Und genau das tat Enoch.
    Die Jahresfeier für die Erdgöttin fiel auf einen Sonntag; die maskierten Geister gingen um. Die christlichen Frauen konnten daher nach dem Kirchgang nicht nach Hause. Einige ihrer Männer brachen auf, um die egwugwu zu bitten, sich vorübergehend zurückzuziehen und die Frauen passieren zu lassen [141]   . Dem hatten die Geister zugestimmt und befanden sich auf dem Rückzug, als Enoch sich laut brüstete, sie würden es nicht wagen, einen Christen zu berühren. Woraufhin sämtliche egwugwu zurückschwärmten und einer von ihnen Enoch einen tüchtigen Schlag mit einem jener Rohre versetzte, wie sie alle eins trugen. Enoch stürzte sich auf ihn und riss seine Maske herunter. Sofort schlossen sich die übrigen egwugwu , um ihn vor den profanen Blicken der Frauen und Kinder zu schützen, zu einem Ring um den entweihten Gefährten zusammen und führten ihn fort. Enoch hatte einen Ahnengeist getötet; Umuofia stand Kopf.
    In der Nacht zog die Mutter der Geister dorfauf, dorfab durch den Klan und beklagte laut heulend ihren ermordeten Sohn. Es war eine schreckliche Nacht. Nicht einmal der älteste der Männer Umuofias hatte jemals derart seltsame und schauerliche Klänge vernommen, und es sollte sie auch nie wieder jemand hören. Es schien, als weine die Seele des Stamms über drohendes Unheil: den eigenen Tod.
    Am Tag darauf versammelten sich die maskierten egwugwu Umuofias auf dem Marktplatz. Sie kamen aus allen Vierteln des Klans und selbst aus den benachbarten Dörfern. Der gefürchtete Otakagu kam aus Imo, und Ekwensu
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