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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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Laufe des Tages trafen die Verwandten aus drei umliegenden Dörfern ein, und jeder Besucherzug brachte einen gewaltigen Krug Palmwein mit. Bis zum Abend wurde gegessen und getrunken, dann machten sich Okonkwos Verwandte auf den Heimweg.
    Der zweite Tag des neuen Jahrs war der Tag des großen Ringkampfes zwischen Okonkwos Dorf und den Nachbardörfern. Was den Leuten besser gefiel – das Feiern und die Geselligkeit des ersten oder die Ringkämpfe des zweiten Tags –, ließ sich schwer sagen. Nur für eine Frau stand das außer allem Zweifel. Das war Okonkwos zweite Frau Ekwefi, diejenige, die er fast erschossen hätte. Für sie gab es – ganz gleich, zu welcher Jahreszeit – kein Fest, das ihr mehr Freude bereitete als der Ringkampf. Vor vielen Jahren, als sie die Dorfschönheit gewesen war, hatte Okonkwo ihr Herz erobert, als er im größten Ringkampf seit Menschengedenken die Katze umgeworfen hatte. Damals hatte sie ihn nicht geheiratet, weil er zu arm war, um den Brautpreis aufbringen zu können. Doch wenige Jahre später war sie ihrem Mann weggelaufen und gekommen, um bei Okonkwo zu leben. Das war lange her. Jetzt war Ekwefi eine Frau von fünfundvierzig Jahren, die in ihrem Leben viel Kummer erlitten hatte. Doch ihre Freude an Ringkämpfen war noch ebenso groß wie vor dreißig Jahren.
    Die Sonne hatte am Tag des Yams-Fests noch nicht ihren Höchststand erreicht. Ekwefi und ihre einzige Tochter Ezinma [63]   saßen am Herdfeuer und warteten darauf, dass das Wasser im Kessel zu kochen begänne. Das Huhn, das Ekwefi soeben geschlachtet hatte, lag im Holzmörser. Als das Wasser zu brodeln anfing, hob sie den Kessel schwungvoll vom Feuer und überbrühte den Vogel. Dann setzte sie den geleerten Kessel auf seine Matte in der Ecke und betrachtete ihre Handflächen, die schwarz waren vor Ruß. Ezinma staunte immer, dass ihre Mutter mit bloßen Händen einen Topf vom Feuer nehmen konnte.
    »Ekwefi«, sagte sie. »Ist es wahr, dass das Feuer die Menschen nicht verbrennt, wenn sie erwachsen sind?« Anders als die meisten Kinder nannte Ezinma ihre Mutter beim Namen.
    »Ja«, erwiderte Ekwefi, die keine Zeit für lange Erklärungen hatte. Ihre Tochter war erst zehn, aber sehr klug für ihr Alter.
    »Aber Nwoyes Mutter hat neulich einen Topf heiße Suppe fallen lassen, und er ist auf der Erde zerbrochen.«
    Ekwefi drehte das Huhn im Mörser und begann mit dem Rupfen.
    »Ekwefi«, sagte Ezinma, die ihr half, »mein Augenlid zuckt.«
    »Das bedeutet, dass du weinen wirst«, sagte ihre Mutter.
    »Nein«, sagte Ezinma, »es ist das Lid, das obere.«
    »Das bedeutet, dass du etwas sehen wirst.«
    »Was werde ich sehen?«, fragte das Kind.
    »Woher soll ich das wissen?« Ekwefi wollte, dass sie von selbst darauf kam.
    »Ah«, meinte Ezinma schließlich. »Ich weiß es: den Ringkampf.«
    Schließlich war das Huhn vollständig gerupft. Ekwefi versuchte, den harten Schnabel herauszuziehen, aber es ging nicht. Sie drehte sich auf ihrem niedrigen Schemel und hielt den Schnabel einen Augenblick ins Feuer. Als sie wieder zog, löste er sich.
    »Ekwefi!«, rief jemand aus einer der anderen Hütten. Es war Nwoyes Mutter, Okonkwos erste Frau.
    »Bin ich das?«, rief Ekwefi zur Antwort. So antworteten die Leute auf Rufe von draußen. Sie sagen nie ja, aus Angst, es riefe vielleicht ein böser Geist.
    »Könntest du Ezinma mit Feuer zu mir schicken?« Ihre eigenen Kinder und Ikemefuna waren an den Fluss gegangen.
    Ekwefi legte ein paar glimmende Kohlestücke in eine Tonscherbe, und Ezinma trug sie über den gefegten Hof zu Nwoyes Mutter.
    »Danke, Nma«, sagte diese. Sie schälte neue Yams, und im Korb neben ihr lagen Grünzeug und Bohnen.
    »Lass mich dir Feuer machen«, erbot sich Ezinma.
    »Danke, Ezigbo«, sagte Nwoyes Mutter. Sie nannte das Kind oft Ezigbo, »die Gute«.
    Ezinma ging hinaus und brachte von dem großen Stoß Feuerholz ein paar Äste. Diese zerbrach sie mit der Ferse zu kleinen Stücken und machte dann Feuer, in das sie kräftig hineinblies.
    »Du bläst dir noch die Augen aus«, sagte Nwoyes Mutter und blicke kurz von den Yams hoch, die sie schälte. »Nimm doch den Fächer.« Sie stand auf und griff von der Ablage den Fächer. Kaum hatte sie sich erhoben, schnappte das lästige Geißlein, das brav die Schalen der Yams gekaut hatte, nach den Knollen und erhaschte zwei Maulvoll, ehe es aus der Hütte floh, um im Ziegenstall in Ruhe wiederzukäuen. Nwoyes Mutter schimpfte und setzte sich wieder vor ihre Yams. Von
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