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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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in Okonkwos Haushalt ins Herz, besonders die Kinder. Okonkwos zwei Jahre jüngerer Sohn Nwoye und er wurden fast unzertrennlich, denn Ikemefuna schien alles zu wissen. Er verstand es, aus Bambusrohr und sogar aus Elefantengras Flöten zu fertigen. Er kannte die Namen aller Vögel und legte geschickt Fallen für kleine Buschnagetiere. Und er wusste, welche Bäume die besten Bogen hergaben.
    Selbst Okonkwo gewann den Jungen lieb – insgeheim natürlich nur. Okonkwo zeigte seine Gefühle nie offen, es sei denn die des Zorns. Zuneigung zu zeigen war ein Zeichen von Schwäche; das Einzige, was es sich zu zeigen lohnte, war Stärke. Er behandelte Ikemefuna daher, wie er alle behandelte – mit starker Hand. Aber dass er den Jungen gut leiden mochte, daran bestand kein Zweifel. Gelegentlich, wenn er zu großen Dorfversammlungen oder Ahnenfesten der Gemeinschaft ging, gestattete er Ikemefuna wie einem Sohn, ihn zu begleiten und seinen Schemel und seinen Ziegenlederbeutel zu tragen. In der Tat nannte Ikemefuna ihn »Vater«.
    Ikemefuna traf gegen Ende der sorgenfreien Zeit zwischen Ernte und Aussaat in Umuofia ein. Von seiner Krankheit genas er, genau genommen, nur wenige Tage vor der Woche des Friedens. Es war jenes Jahr, in dem Okonkwo den Frieden brach und dafür, wie es das Gesetz verlangte, von Ezeani [52]   , Priester der Erdgottheit, bestraft wurde.
    Okonkwos verständlicher Unmut war durch seine jüngste Frau erweckt worden, da sie zu einer Freundin ging, um sich die Zöpfe flechten zu lassen, und nicht rechtzeitig wiederkehrte, um das Nachmittagsmahl zu bereiten. Okonkwo hatte nicht gewusst, dass sie fort war. Nachdem er vergeblich auf ihre Speise gewartet hatte, war er in ihre Hütte gegangen, um nachzusehen, was sie treibe. Die Hütte war leer, und das Herdfeuer war aus.
    »Wo ist Ojiugo?«, fragte er seine zweite Frau, die aus ihrer Hütte trat, um aus dem großen Krug im Schatten eines kleinen Baums in der Mitte der Anlage Wasser zu schöpfen.
    »Sie lässt sich Zöpfe flechten.«
    Okonkwo biss sich auf die Lippen, Zorn wallte in ihm auf.
    »Wo sind ihre Kinder? Hat sie sie mitgenommen?«, fragte er ungewohnt kühl und zurückhaltend.
    »Sie sind hier«, rief darauf seine erste Frau, Nwoyes Mutter. Okonkwo bückte sich und warf einen Blick in ihre Hütte. Ojiugos Kinder aßen mit den ihren.
    »Hat sie dich gebeten, ihnen zu essen zu geben, ehe sie ging?«
    »Ja«, log Nwoyes Mutter, um Ojiugos Gedankenlosigkeit zu verringern.
    Okonkwo aber wusste, dass sie nicht die Wahrheit sprach. Er kehrte in sein obi zurück und wartete auf Ojiugos Wiederkehr. Als sie dann kam, schlug er sie sehr. In seiner Wut hatte er vergessen, dass es die Woche des Friedens war. Seine ersten zwei Frauen liefen voll Sorge herbei und flehten ihn an, es sei die geweihte Woche. Doch es bei einer halben Tracht Prügel zu belassen, war nicht Okonkwos Art, auch nicht aus Furcht vor einer Gottheit.
    Okonkwos Nachbarn hörten seine Frau jammern und ließen ihre Stimmen hinter der Lehmmauer vernehmen, um zu erfahren, was sie habe. Einige kamen gleich, um nachzusehen. Jemanden in der geweihten Woche zu schlagen war unerhört.
    Noch vor Abenddämmerung suchte Ezeani, der Priester der Erdgöttin Ani, Okonkwo in seinem obi auf. Okonkwo holte eine Kolanuss und setzte sie dem Priester vor.
    »Behalte deine Kolanuss. Ich esse nicht unter dem Dach eines Mannes, der unsere Gottheiten und Ahnen nicht achtet.«
    Okonkwo versuchte zu erklären, was seine Frau getan hatte, doch Ezeani schien kaum hinzuhören. Er hielt in der Hand einen kurzen Stab, den er zur Bekräftigung seiner Worte auf die Erde stieß.
    »Höre«, sagte er, als Okonkwo geendet hatte. »Du bist in Umuofia kein Fremder. Du weißt so gut wie ich, was unsere Ahnen verfügt haben: Ehe wir der Erde die Saat anvertrauen, haben wir eine Woche Frieden zu halten, während derer kein Mann ein böses Wort an seinen Nachbarn richtet. Wir leben in Frieden miteinander, der großen Göttin der Erde zu Ehren, ohne deren Wohlwollen unsere Feldfrüchte nicht gedeihen. Du hast ein großes Übel begangen.« Er stieß seinen Stab mit Wucht auf die Erde. »Deine Frau hat unrecht gehandelt, doch selbst wenn du in dein obi kämst und sie unter ihrem Liebhaber läge, tätest du übel daran, sie zu schlagen.« Wieder sauste sein Stab nieder. »Deine üble Tat kann den ganzen Klan ins Verderben stürzen. Die Erdgöttin, die du gekränkt hast, könnte uns ihre Fülle verweigern, und dann kommen wir alle um.« Sein
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