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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Autoren: Chinua Achebe
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Rolle des Geschichtenerzählens und die Bedeutung symbolischer Handlungen und Objekte für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Der amerikanische Schriftsteller John Updike schrieb an Achebe, nachdem er Arrow of God gelesen hatte, um ihm zu sagen, dass ein westlicher Schriftsteller die Zerstörung einer so reichhaltigen Figur wie Ezeulu nicht zugelassen hätte. Darüber kann man streiten, aber was Updike vielleicht verstanden hatte, war, dass es Achebe ebenso sehr um eine Person ging wie um ein Volk, ein Gedanke, der in einem Sprichwort, das eine Romanfigur in Arrow of God anführt, gut eingefangen ist: »Ein Tier reibt seine juckende Flanke am Baum, ein Mensch bittet seinen Verwandten, ihn zu kratzen.«
    Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke

Drehend und drehend im sich weitenden Kreisel
Kann der Falke den Falkner nicht hören;
Alles zerfällt; die Mitte hält es nicht.
Ein Chaos, losgelassen auf die Welt …
W.B. Yeats: Das Zweite Kommen

Viertes Kapitel
    »Sieht man den Mund eines Königs«, sagte ein alter Mann, »würde man nicht glauben, dass er je an der Brust seiner Mutter gesaugt hat.« Er sprach von Okonkwo, der so rasch aus Armut und Unglück unter die Ersten des Klans aufgestiegen war. Der Alte missgönnte es Okonkwo nicht. Er achtete im Gegenteil seinen Fleiß und seinen Erfolg. Doch stieß ihm, wie den meisten anderen auch, Okonkwos Schroffheit gegenüber weniger erfolgreichen Männern auf. Erst vorige Woche hatte ein Mann bei einer Versammlung der Verwandten, die über ein bevorstehendes Ahnenfest berieten, Okonkwo widersprochen. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, hatte dieser gesagt. »Diese Versammlung ist für Männer.« Der Redner hatte keine Titel. Also nannte Okonkwo ihn ein Weib. Okonkwo verstand es, die Seele eines Mannes zu töten.
    Alle Anwesenden ergriffen bei der Versammlung Partei für Osugo [51]   , als Okonkwo ihn als Weib bezeichnete. Der Älteste der Runde bemerkte streng, dass jene, für die ein Schutzgeist die Palmnüsse bräche, dennoch die Demut nicht verlernen dürften. Okonkwo entschuldigte sich für seine Bemerkung, und das Gespräch wurde fortgesetzt.
    Aber es stimmte eigentlich nicht, dass ein Schutzgeist für Okonkwo die Palmnüsse gebrochen hatte. Er hatte sie selber gebrochen. Keiner, der seinen erbitterten Kampf gegen die Armut und das Unglück verfolgt hatte, konnte behaupten, er habe Glück gehabt. Wenn es je einen Mann gab, der seinen Erfolg verdient hatte, dann Okonkwo. Schon in jungen Jahren hatte er als größter Ringer weit und breit Ruhm erlangt. Das war keine Frage des Glücks gewesen. Bestenfalls konnte man sagen, dass sein chi , sein persönlicher Gott, gut war. Doch heißt es bei den Igbo, dass wenn ein Mann ja sagt, auch sein chi ja sagt. Okonkwo hatte sehr energisch ja gesagt; also hatte sein chi zugestimmt. Und nicht nur sein chi , sondern auch sein Klan, denn dieser beurteilte einen Mann nach seinen Taten. Aus ebendiesem Grund war Okonkwo von den neun Dörfern auserkoren worden, ihren Feinden die Kriegsbotschaft zu überbringen, falls sie sich nicht bereit erklärten, zur Wiedergutmachung für die Ermordung von Udos Frau einen Knaben und eine Jungfrau herzugeben. Und die Feinde fürchteten Umuofia so sehr, dass sie Okonkwo wie einen König behandelten, ihm die Jungfrau überließen, die Udo als Frau bekam, wie auch den Jungen Ikemefuna.
    Die Ältesten des Klans hatten beschlossen, Ikemefuna vorerst in Okonkwos Obhut zu geben. Keiner hätte gedacht, dass daraus drei Jahre werden würden. Man schien ihn vergessen zu haben, kaum dass der Entschluss gefasst war.
    Zuerst hatte Ikemefuna furchtbare Angst. Ein-, zweimal versuchte er zu fliehen, aber er wusste nicht wie. Er dachte an seine Mutter und an seine dreijährige Schwester und weinte bitterlich. Dabei war Nwoyes Mutter sehr gut zu ihm und behandelte ihn wie eines ihrer eigenen Kinder. Doch Ikemefuna kannte nur einen Gedanken: »Wann darf ich nach Hause?« Als Okonkwo hörte, dass der Junge nicht aß, betrat er mit einem schweren Stock die Hütte und baute sich über Ikemefuna auf, der darauf zitternd seine Yams verschlang. Wenig später verschwand er hinter die Hütte und musste sich furchtbar erbrechen. Nwoyes Mutter ging zu ihm und legte ihm die Hände auf Brust und Rücken. Drei Marktwochen war der Junge krank, und als er wieder zu Kräften kam, schien er das Schlimmste seiner Angst und seiner Trauer überwunden zu haben.
    Er war von sehr lebhaftem Temperament, und mit der Zeit schlossen ihn alle
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