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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst
Autoren: Christoph Guesken
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anderen brauchen Sie’s erst gar nicht zu versuchen. Da müssen Sie zu anderen Mittel greifen.«

    »Bedauere«, sagte ich pikiert. »Ich bin nicht in der Einschüchterungsbranche tätig.«

    »Dann her mit der Kohle und stehlen Sie mir nicht weiter meine Zeit. Ich habe schon genug an der Backe. Meine Bedienung hat sich krankgemeldet.«

    Sollte ich etwa fantasiert haben? »Aber da war doch eine Bedienung«, widersprach ich.

    Achselzucken. »Frau Brück ist für Bölling eingesprungen. Normalerweise arbeitet sie in der Küche.«

    Mir kam plötzlich eine Idee. »Warum schlagen Sie nicht zwei Fliegen mit einer Klappe? Lassen Sie mich für Bölling einspringen, und mit etwas Glück serviere ich Ihnen den anonymen Briefeschreiber heute Abend auf dem Tablett.«

    Fricke starrte eine Weile mürrisch vor sich hin, dann gab er mir den Job, allerdings unter der Bedingung, dass er mich nur im Erfolgsfall bezahlen musste. So hatte er den Personalengpass behoben, ohne dass ihm Kosten entstanden. Die Lösung des Erpresserproblems traute er mir nicht zu.

     
    Leider kam es anders als geplant. Noch bevor ich mich in das grüne T-Shirt mit dem Aufdruck Biotop Team gezwängt hatte, hatte Frau Brück schon wieder in die Küche gewechselt. Inzwischen herrschte reger Betrieb im Lokal. Hungrige Gäste warteten auf ihr Essen – und Gäste hassen nichts mehr als zu warten. Im Sekundentakt balancierte ich voll bepackte Tabletts durch den Raum und servierte Grünes Allerlei der Saison , Schlupfnudeln über Biowurstfantasie , Kalbsfilet unter vier Augen mit Wahlbeilage und Hühnchenreis süßsauer à la Vietcong . Zeit zum Atemholen blieb mir nicht, geschweige denn der Frau in der Küche zuzulächeln oder die Augen nach einem Erpresser offen zu halten. Ich war ein Anfänger im Servieren, aber die Kundschaft verzieh keine Anfängerfehler.

    »Ich warte bereits sechseinhalb Minuten«, beschwerte sich eine kurzhaarige Dame um die vierzig, die nach Lavendel roch und in rosaviolette Tücher gehüllt war. »In fünfzehn Minuten beginnt mein Reinkarnations-Workshop.«

    Ich vollzog einen Linksschwenk und landete ein Tablett geradewegs auf ihrem Tisch. »Alles schon fertig«, grinste ich. »Einmal freilaufender Hirsch mit Ofenkartoffel.« Damit wollte ich entschwinden.

    »Einen Augenblick, junger Mann!«, hielt mich die ungnädige Stimme der Kurzhaarigen zurück. »Ich wollte die Nummer dreiundzwanzig.«

    Das zweite Grinsen kostete mich schon etwas Mühe. »Das ist die Nummer dreiundzwanzig − Hirschragout auf Kräuterbutter mit hausgemachten Pommes de Terre und biologisch geschwenktem Basilikum-Balsamico-Dressing. «

    Die Frau verschränkte die Arme vor ihrer rosavioletten Brust. »Ist es nicht.«

    »Ist es doch«, gab ich zurück.

    »Sehen Sie nach, junger Mann.«

    Was bildete sie sich ein? Ich schnappte mir eine Speisekarte vom Nebentisch, knallte sie ihr vor die Nase und deutete mit dem Finger auf das Hirschragout mit Basilikum-Balsamico-Dressing. »Zufrieden?«, bellte ich mit der Überheblichkeit dessen, der von einer Sache nun einmal mehr versteht, da er schließlich hier arbeitet.

    »Aber das ist die Nummer zweiunddreißig.«

    Ich sah genauer hin. Sie hatte recht. Nummer dreiundzwanzig war Putengeschnetzeltes an grünem Biovollkornrahm.

    »Das ist natürlich etwas anderes«, gab ich nach einem kurzen Räuspern zu.

    »Allerdings, junger Mann.«

    So, das war jetzt ein Mal ›junger Mann‹ zu viel. Ich beugte mich zu ihr hinunter. »Die Tatsache, dass Sie vielleicht älter aussehen als ich«, zischte ich ihr ins Ohr, »gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mich ›junger Mann‹ zu nennen.«

    Die Frau versteinerte und ich eilte in die Küche zurück. Mag sein, dass ich ein schlechter Verlierer war, aber so hatte ich wenigstens ein bisschen Genugtuung aus der Blamage gerettet.

    Praktisch umgehend, zwei Minuten später, servierte ich das Putengeschnetzelte, genauer gesagt parkte ich das Tablett wortlos auf ihrem Tisch und verdrückte mich wieder.

    Und dann hörte ich den Schrei.

    Es war ein markerschütternder Schrei, der alle Gäste des Restaurants in der Bewegung erstarren und mich wie angewurzelt stehen bleiben ließ. Im ersten Moment wunderte ich mich, dass sie ihre Wut so herausließ. Ich hatte sie eher für den Typ gehalten, die sich später zusammen mit der Rechnung den Namen des Vorgesetzten geben lässt. Dann schrie die Rosaviolette ein zweites Mal. Es handelte sich eindeutig nicht um einen Wutschrei, sondern um
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