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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Universum stürzte in einem Bombenangriff himmlischen Erbrechens zu Boden.
    Diejenigen, die noch wach und unter freiem Himmel waren, rannten in Deckung. Der reisende Journalist Schakel R. hielt sich den Lwower Tageskurier (NAZIS stossen ostwärts vor) über den Kopf. Der berühmte Dramatiker, der zu Besuch im Schtetl weilte und dessen tragikomische Bearbeitung der Trachim-Geschichte - Trachim! - vom Publikum begeistert und von der Kritik gleichgültig aufgenommen worden war, sprang in den Brod, um nicht getroffen zu werden. Die himmlische Masse fiel anfangs in kleinkindgroßen Stücken und dann in Strömen hernieder, durchweichte ganz Trachimbrod, färbte das Wasser des Brod orange, füllte den ausgetrockneten Brunnen der Hingestreckten Meerjungfrau bis zum Rand, schloss die Risse im brüchigen Portal der Synagoge, überzog die Pappeln, ertränkte kleine Insekten und ließ die Ratten und Geier am Flussufer in einen Freudentaumel fallen.

    An jenem Nachmittag des 18. März 1942 waren, wie seit über hundertfünfzig Jahren an jedem Trachimtag, Baldachine aus dünner weißer Schnur über die schmalen, kopfsteingepflasterten Lebensadern von Trachimbrod gespannt. Das war die Idee des guten Gefilte-Fisch-Händlers Bitzl Bitzl R. gewesen, der damit an das erste Stück des Treibguts aus dem Wagen erinnern wollte, das an die Wasseroberfläche gestiegen war. Ein Ende der weißen Schnur war am Lautstärke-Knopf eines Radios ( Nazis fallen in die Ukraine ein - RASCHER VORMARSCH NACH OSTEN) auf dem wackligen Bücherregal in Benjamin T.s winziger Hütte befestigt, das andere Ende an einem leeren silbernen Kerzenleuchter auf dem Esstisch im Backsteinhaus des Mehr-Oder-Weniger-Geach-teten Rabbis jenseits der matschigen Scheuster Straße; dünne weiße Schnur verband wie eine Wäscheleine das Blitzlichtstativ von Trachimbrods erstem und einzigem Fotografen mit dem Hammer des mittleren C im Schmuckstück von Zeinvel Z.s Klaviergeschäft auf der anderen Seite der Malkner Straße; weiße Schnur führte vom freien Journalisten (DEUTSCHE STOSSEN WEITER VOR UND FEIERN BEVORSTEHENDEN SIEG) quer über die ruhige und gespannte Fläche des Brod zum Elektriker; weiße Schnur war vom Denkmal für Pinchas T. (das, überaus realistisch, aus Marmor gehauen war) zu einem Roman (einem Liebesroman) über Trachimbrod und weiter zu der Vitrine im Museum für Echte Folklore gespannt, in der (bei einer Temperatur von 14 Grad) sich schlängelnde Schlangen aus weißer Schnur ausgestellt waren, und bildete ein ungleichseitiges Dreieck, das sich in den Glasaugen der Sonnenuhr in der Mitte des Schtetl-Platzes spiegelte.
    Mein Großvater und seine hochschwangere Frau saßen auf einer Picknickdecke in ihrem Garten und sahen zu, als die Parade der Festwagen begann. Der Zug wurde, wie es Tradition war, von dem Wagen aus Rowno angeführt - er wirkte schlampig, mit vergilbten Schmetterlingen, die das rissige Holz des eine Gruppe Feldarbeiter darstellenden Bildnisses nur unzureichend bedeckten. Es hatte schon im letzten Jahr nicht gut ausgesehen und sah jetzt noch schlechter aus. (Die Kadaver waren durch die Lücken zwischen den Flügeln zu erkennen.) Klezmergruppen gingen vor dem Wagen aus Kol-ki, der mühselig von Männern mittleren Alters gezogen wurde, da die jungen Männer an der Front und die Pferde zur Verstärkung der Kriegsanstrengung in der nahen Kohlengrube eingesetzt waren.
    OH!, kicherte Zoscha laut, unfähig, ihre Stimme zu dämpfen. ES HAT MICH GERADE GETRETEN!
    Mein Großvater legte das Ohr an ihren Bauch und erhielt einen starken Stoß gegen den Kopf, der ihn durch die Luft fliegen und einige Meter entfernt auf dem Rücken landen ließ.
    DIESES KIND IST AUSSERGEWÖHNLICH!
    Es standen weniger gut aussehende Männer am Ufer als in den anderen Jahren, seit alles begonnen hatte, seit Trachim von seinem Wagen unter Wasser gedrückt worden war oder auch nicht. Die gut aussehenden Männer kämpften in einem Krieg, dessen Auswirkungen noch niemand hatte begreifen müssen und die niemand je begreifen würde oder begreifen wird. Die meisten derjenigen, die übrig waren, um an dem Wettkampf teilzunehmen, waren Krüppel oder Feiglinge, die sich selbst verstümmelt hatten - sie hatten sich eine Hand gebrochen oder ein Auge geblendet oder Blindheit oder Taubheit vorgetäuscht, um dem Dienst in der Armee zu entgehen. Es war ein Wettkampf der Krüppel und Feiglinge, die nach einem Sack voll Gold tauchten, das in Wirklichkeit Katzengold war. Sie versuchten sich
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